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TIN6LR
^ou/v^N
C'^rJ^<^1
4
VERLIEBTE
WAGNERIANER
NOVELLE
VON
D. SPITZER.
Und mein Stamm sind jene Asra»
Welche sterben, wenn sie lieben.
Hetnrick Heine: Romanzero
DRITTE -A.LmL.A.GE.
Wien 1880
Verlag von Julius Klinkhardt
I., JOHANNESGASSB 29.
1
Druck von Julius KHnkhardt.
I.
Ieonie von Malzau galt in der Gesell-
schaft als eine schöne Frau. Einige
Bjunge Männer fanden sie bezaubernd
und seufzten, wenn sie sie sahen, einige
ältere Männer dagegen bestritten allerdings
nicht, dass sie noch immer reizend sei, nur be-
haupteten sie, dass die herrliche grosse Locke,
die über ihre schönen Schultern fiel, dunkler
sei als das übrige Haar, und dass so schön
geschwungene Augenbrauen, wie jene waren,
deren sich Frau von Malzau erfreute, in das
Reich der Phantasie gehörten gleich den idealen
Landschaften Marko's und ähnlichen Meister-
werken des Pinsels. Ein blutjunger Ulanen-
lieutenant, der sie im Opembause sah, ver-
säumte die Hälfte des Ballets, weü er fort-
während nach ihrer Loge Hickte, und als
man ihn deshalb stichelte, antwortete er
träumerisch, für einen Kuss, sogar nur auf
die Stirne dieser Diana, hätte er gerne auch
noch auf die andere Hälfte des Ballets Ver-
zicht geleistet. Als man diese Aeusserung dem
witzigen Legationsrathe hinterbrachte, der der
Führer jener Partei war, die an der voll-
ständigen Echtheit der Haare und Augen-
brauen der schönen Frau zweifelte, erwiederte
er sarkastisch, der Lieutenant hätte ganz Recht
gehabt, ein solches Opfer zu bringen, denn
er habe bis jetzt auch nicht den verschäm-
testen Anflug eines Bartes, und würde, wenn
ihm Frau von Malzau gestattete, seine Lippen
auf ihre keusche Nasenwurzel zu drücken,
nach einem solchen Kusse zweifellos den
schönsten schwarzen Schnurrbart im Regi-
mente besitzen. Was die Kritik der Damen
über die Schönheit dieser Frau betrifft, so
meinten sie, man müsse Frau von Malzau,
um kern befangenes Urtheil abzugeben, am
Tage nach einer durchtanzten Nacht betrach-
ten, .und man werde finden, dass sie einen
gelblichen Teint und blaue Ränder um die
Augen habe. Doch behaupteten mehrere be-
- ! -
rühmte Statistiker, die namentlich in der ver-
gleichenden Statistik der bei den Bällen der
letzten Jahre sitzen Gebliebenen sehr zu Hause
waren, dass diese strengen Richterinnen von
dein schädlichen Einflüsse des anhaltenden
Tanzens auf ihre eigene Gesichtsfarbe nichts,
zu besorgen hatten.
Leonie war als Mädchen eine gefeierte
Schönheit. Man nannte sie allgemein „die
schöne Leonie" und dieser Name hatte ihr,
obwohl sie nur die Tochter eines beschei-
denen Rechnungsrathes war, die Salons der
hohen Finanzwelt eröffnet. Die Diplomatie,
Büreaukratie, Plutokratie und Kavallerie, die
in jenen Salons speiste und tanzte, lag ihr zu
Füssen, und wie verführerisch war ihr kleiner
Fuss! Ein Bankierssohn, der als das grösste
Talent der Ringstrasse galt, deim er hatte nicht
nur den ganzen Heine gelesen, sondern war
auch ein sehr gewandter Arbitrageur, hatte
diesen Fuss in einem Sonett angebetet.
Mein Gott, warum soll man nicht einen
Mädchenfuss anbetem das ist ja noch immer
vernünftiger, als einen Ochsen anzubeten wie
die alten Egypter. Freüich konnten die egyp-
— 4 —
tischen Theologen einwenden, dass ein dum-
mer Ochs sein Leben lang ein dummer Ochs,
das reizendste Mädchen jedoch nicht lebens-
länglich ein reizendes Mädchen bleibe. Man
hatte sich einst glücklich gepriesen, mit ihr
tanzen zu können, und wenn sie eine Blume
verlor, oder ihr ein ungeschickter Tänzer ein
Stückchen von der Schleppe abriss, so waren
die Blume oder das Stückchen Tüll im Nu
verschwunden, und man konnte den unred-
lichen Finder sofort an der Seligkeit erken-
nen, die dessen Züge verklärte. Besuchte sie
die „Philharmonischen Konzerte", so ging
das besonders von den Virtuosen so ge-
schätzte Ah! der Bewunderung durch den
Saal, und in der That hatte sich einmal ein
Dirigent, in der Meinung, es gelte ihm, ver-
beugt und die Hand gerührt ans Herz ge-
drückt. Und niemals kamen so viele Purzel-
bäume auf dem Eise vor, als wenn sie auf
diesem dahin schwebte, weil dann die Blicke
der Schlittschuhläufer nur auf die Loreley
des Eislaufplatzes gerichtet waren.
Alle Bilder von Wiener Malern auf den
Kunstausstellungen der letzten Jahre enthielten
— 5 -^
Reüimiscenzen an ihre Schönheit. Einer unserer
reichsten Bankiers blieb einmal erschrocken
vor einer Judith stehen, die schon am frühen
Morgen mit dem Haupte des Holofemes in der
Hand spazieren ging, und griff nach seinem
Kopfe, ob sich dieser noch auf seinem Platze
befinde, da er es ganz genau wusste, dass diese
Judith gestern an seiner Tafel soupirt hatte,
bis er erkannte, dass der Maler für das Bild
der bethulischenWittwe die Züge der schönen
Tochter des Rechnungsrathes benutzt hatte.
Wenn man aber auch auf den Gemälden nicht
immer ihr Gesicht fand, so konnte man doch
gewiss sein, ihren Augen, ihrer Nase, ihren
Ohren, ihrer Hand, oder ihrem Füsschen da-
selbst zu begegnen. Rief (loch einmal eine
Bacchantin das Kopfschütteln der Lebemän-
ner hervor, da ihnen die unnatürlich grüne
Farbe ihres Fleisches so bekannt vorkam,
bis sie sich erinnerten, dass die schöne
Leonie auf dem letzten Balle, von dem so
viel gesprochen wurde, in einer Toilette von
derselben meergrünen Farbe erschienen war.
Der Maler nämlich, der gesehen hatte, wie gut
ihr dieses Grün stand, hatte sich der Hofihung
hingegeben, dasselbe werde auch bei seiner
Bacchantin die gleiche Wirkung hervorbringen.
Doch alle Ah! und Oh! der Schwärmer
halten den Schritt der Zeit nicht auf, sie
greift grausam mit ihren Krallen in das
schönste Frauenantlitz, und pflückt dort eine
Blüthe nach der anderen, an deren Stelle
nichts zurückbleibt als eine kleine Furche,
aus der aber keine neuen Reize aufblühen.
Die schöne Leonie wurde unter allen den
Huldigungen, die ihr nach wie vor darge-
bracht wurden, immer älter, ohne dass unter
allen den Anbetern, die sich glücklich geprie-
sen hätten, ihre Fingerspitzen zu berühren,
auch nur Einer gewesen wäre, der ihre Hand
begehrt hätte. Die Rechnungsräthin gedachte
mit Bangen aller verflossenen Schönheiten
der Residenz, die alte Jungfern geworden
waren, und begann im Sommer mit ihrer
Tochter die Bäder zu besuchen, deren Wirk-
samkeit sie jedoch nicht nach der Menge der
daselbst Geheilten beurtheilte, sondern nach
der Anzahl der Verlobungen, die dort in der
Saison stattgefunden hatten. Die sorgsame
Mutter studirte daher mit grossem Fleisse die
— 7 —
Kttrliste sämmtlicher Badeorte, und gab jenen
den Vorzug, die von älteren Junggesellen in
sorgenfreier Lebensstellung besucht wurden.
So gebrauchte Leonie in Folge des Rheuma-
tismus eines reich^i polnischen Edelmannes,
der ihr in der Residenz lange den Hof ge-
macht hatte, die Thermen von Gastein, leidet
jedodi ganz ohne Erfolg, da der Pole den
Rheumatismus der Ehe vorzog und auf seme
Güter in Podolien zurückkehrte. Die Dick-
leibigkeit eines angesehenen ungarischen Guts-
besitzers zwang sie, die Heüquellen von
Marienbad zu versuchen, und in der That
verriethen die Seufiser, die der Ungar, wenn
er sie während des Morgenspazierganges be-
gleitete, ausstiess, nur zu deutlich, was in
s^em Inneren vorging. Allein, nachdem er
fünfzehn Pfund verloren hatte, hörte er plötz-
lich zu sen&en auf und reiste nach Ostende
ins Seebad, um sich dort seiner wieder ge-
wonnenen Ldchtigkeit zu freuen;
Es wäre zu beschämend für die arme
Leonie, wenn wir alle ihre gescheiterten Ver-
suche, sich der £)iplomatie zu widmen, oder in
die Kavallerie einzutreten, oder die selbstän-
dige Leittmg eines grösseren Bankiers zu über^
nehmen, erzählen wollten. Nachdem von
Neuem ein Sommer verstrichen war, der nur
ihren Zustand verschlimmert hatte, — sie war
jetzt sechsundzwanzig Jahre alt — kam der Win-
ter wieder mit seinen Festen und Huldigungen.
Leonie nahm jetzt die letzteren nicht mehr
mit Gleichgiltigkeit auf wie ehemals, sondern
mit einem zaghaften Gefühle, das zwischen
Hoffnung und Entsagung schwankte, das ihr
aber in den Augen Jener, die das Pikante
lieben, einen neuen Reiz verlieh. Eines Abends
wurde ihr auf einem Balle ein greiser breit-
schulteriger, ziemlich beleibter Mann von
etwa vierzig Jahren mit einem gutmüthigen
rothen Gesichte, grossen Perlenhemdknöpfen
und dem Ordensbande der eisernen Krone
im Knopfloche vorgestellt. Er bat sie um
die nächste Quadrille, die sie üim auch ge-
währte. Ihr Tänzer trat ihr zwar schon
während der ersten Tour zweimal auf den
Fuss, aber sie hatte hierin mit dem scharfen
Blicke heiratsfähiger Mädchen die Ungeschick-
Hchkeit eines Mannes erkannt, der nicht an
diese graziöse Leibesübung gewöhnt war und
tiur, um würdigere ZMe zu ^verlblgeo, sich in
die Gefehren einer Quadrille gestürzt hatte.
Sie erwiederte daher die Fusstritte mit einem
hingebenden seelenvollen BUcke, mit dem sie
ehemals nicht das schwungvollste lyrische
Gedicht an sie bdohnt hätte»
Er gelmtete sie an ihren Sitz zurück und
knüpfte, während Leonie anderen Aufforde-
rungen zum Tanze folgte, mit ihrer Mutter
eine Unterredung an, indem er über die grosse
Hitze, die in allen Tanzsälen herrsche, klagte
— eine Beobachtung, welche die Mutter Leo-
niens auch schon gemacht haben wollte. Er
sprach sodann mit einiger Wärme über die
Lüftung grosser Räume, Mittheflungen tech-
nisdier Natur, wdche die Rechnungsräthin,
wie sie versicherte, in hohem Grade inter*
essirten, so dass sie ilm, in ihrer Begierde,
über <Mesen wichtigen Gegenstand volle Klar^
heit zu eriangen, in ihr Haus zu einer Tarock-
partie mit ihr und ihrem Manne einlud, eben*
falls einem grossen Freunde der Ventilations*
kunst, wie sie beiläufig bemerkte*
Der freundliche Mann, dear so rasch die
Zuneigung Leioniens wie ihrer Mutter ge*
10 —
Wonnen hatte, hiess Plunz und war einer der
ersten Bierbrauer. Das Bier, das er erzeugte,
war so ausgezeichnet, dass der Name Plunz
einen besseren Klang hatte, als man nach
der nur geringen melodischen Fülle desselben
zu erwarten berechtigt gewesen wäre, ja, die
Biertrinker schmatzten, wenn er genannt
wurde, mit den Lippen, wie etwa unglücklich
Liebende, wenn sie den Namen Petrarka's
hören. War Herr Plunz ruhmessatt, oder
war die Summe, die ihm eine Aktiengesell-
schaft für seine Brauerei bot, von so verlocken-
der Grösse, genug, er hatte sein Brauhaus vor
zwei Jahren verkauft und sich als Millionär in
das wegen der inneren Zufriedenheit, die es
angeblich gewähren soll, so häufig aufgesuchte
Privatleben zurückgezogen. Doch dieses bot
auch ihm, wie so vielen Anderen, die an die
Ketten des Berufs gewöhnt waren, nur Enttäu-
schungen, und nicht aus Eitelkeit, sondern um
der Langeweile zu entgehen, die es hauptsäch-
lich liebt, um schwere Geldsäcke herumzu-
schleichen, warf er sich dem Ehrgeize in die
Arme. Er ersann Verbesserungen aller Art und
zwar namentlich, vidleicht, weil er sehr voll-
— n —
blutig war, der Ventflationsapparate, bis es
ihm endlich gelang, da er auf seine Kosten
die Kavalleriekasemen mit von ihm erfundenen
Vorrichtungen für die Lüftung versehen hatte,
die Wissenschaft um eine neue Art von rheu-
matischem Zahnschmerz, der einzig und allein
bei der Armee und zwar merkwürdiger Weise
nur bei dem berittenen Theile derselben vor-
kam, zu bereichem, wofür ihm sowohl wie dem
Stabsarzte, der jenes Kavallerie-Rheuma zuerst
entdeckt und wissenschaftlich beschrieben
hatte, der Orden der eisernen Krone und
mit diesem der Ritterstand verliehen wurde.
Erwählte das Adelsprädikat Ritter von Malzau
und gab der Pietät für die Quelle seiner Reich-
thümer nicht nur Ausdruck, indem er mit einem
der wichtigsten Bestandtheile des Bieres, dem
Malze, seinen Namen würzte, sondern auch
noch dadurch, dass er mit einer für die Bier-
bereitung nicht minder werthvollen Substanz
das Wappen, das er nunmehr zu führen berech-
tigt war, hopfte, da er in demselben einer
Hopfendolde einen hervorragenden Platz ein-
räumte. Er wurde dadurch nicht lächerlicher
als die Börsenspekulanten, Geldschrankfabri-
— la —
kanten, Spediteure, Schweinemetzger und Hof-
gelegenheitsdichter, aus denen sich der neue
Adel rekrutirt, er hatte sich ebensowenig Ver-
dienste erworben wie diese, aber eine Million
ist ein so schlagendes Argument, dass sie auch
für den räthselhaftesten Viehstall eines Wap-
pens ausreicht. Es ist richtig, er war ein Em-
porkömmling, allein die meisten Leute, die sich
über einen solchen lustig machen, ahnen nicht,
wie schwer es manchmal ist, einer zu werden.
Aber der Müssiggang ist aller Laster Anfang,
und so begann Herr Plunz von Malzau seiner
ehrlichen alten Junggesellenschaft, der er
doch die Festigkeit seines Schlafes zu danken
hatte, endlich überdrüssig zu werden. Er fing
an, hin und wieder Besuche zu machen und auf
Bälle zu gehen, um so dem Zufalle die Ver-
antwortlichkeit für das Gelingen seines Hei-
ratsplanes zu überlassen, und lernte eben, da
er die Salons vollständig satt bekommen hatte,
Leonie kennen. Er tauschte daher sehr gerne
für die Unbequemlichkeit des Ballsaales die
Bequemlichkeit einer Tarockpartie • mit den
Eltern Leoniens ein, an welcher diese als Zu-
schauerin Theil nahm und ihn, der nur ge-
— 13 —
ringes Verständniss für dieses Spiel an den
Tag legte, durch ihre Gegenwart vollständig
verwirrte. Eines Abends, da er wieder einen
so ungeheuren Fehler im Spiele gemacht hatte,
dass sein Partner, der Rechnungsrath, die
Hände über dem Kopfe zusammenschlug,
wurde er plötzlich blutroth, legte die Karten
auf den Spieltisch nieder, wischte sich den
Schweiss von der Stime, dann sprang er vom
Stuhle auf, fasste Leonie bei der Hand,
küsste diese zärtlich und rief:
„Ich werde nidit eher wissen, wie viele
Tarocke ich in der Hand habe, bis Ihre Tochter
n^eine Ftslvl wird!"
Leonie schlug die Augen nieder und sechs
Wochen später war sie im Besitze eines
prachtvollen Brillantenhalsbandes, das ihr
Herr Plunz von Malzau auf der Hochzeits^
reise in Paris gekauft hatte.
IL
IE Ansprüche, die Leonie an die Ehe
gestellt hatte, gingen alle in Erfüllung.
Sie brauchte sich ja keinen Wunsch
zu versagen, da Herr von Malzau die Rech-
nungen seiner Frau bezahlte, ohne ihr je-
mals, wenn jene auch noch so gross waren,
Anlass zum geringsten Vorwurfe zu geben.
Nur an der Eintönigkeit des ehelichen Le-
bens vermochte sie, die an die Zerstreuungen
der Gesellschaft . gewöhnt war, keinen Ge-
schmack zu gewinnen. Ihr Mann hatte zwar
vor der Heirat wiederholt während des
Mischens der Karten davon gesprochen, dass
er für die Gesellschaft durchaus nicht ge-
schaffen sei und Leonie deutete in solchen
Fällen ebenfalls ihre Vorliebe für eine stJfle
— i5 —
Häus&^eit an, indem sie ein Tuch 2ur Hand
nahm und von einem in der Nähe befindlichen
Elasten den Staub, der sich möglicher Weise
dort befinden konnte, abzuwischen begann.
Allein wer vermöchte sich solcher kleiner
Vorfälle aus vergangener 2^it immerdar zu
entsinnen? Ihr Mann liebte die Bequemlich-
keit, hielt auf Küche und KeUer grosse
Stücke und war regelmässig um elf Uhr
Abends schläfrig. Bis halb elf Uhr war; er
der zärtlichste, opferwilligste Gatte, um diese
Stunde aber begann er zu gähnen und war
sehr geneigt zu widersprechen, und wenn er
nicht dann zu Bette ging, so war er, wie
Leonie behauptete, ein Tyrann. Sie be-
wohnten den ersten Stock eines Hauses auf
der Ringstrasse in der Nähe des Stadtpsurkes
und im Sommer ihr eigenes Landhaus in
Hietzing,. sie hatten eine, wenn auch nicht
vornehme, doch sehr hübsche Equipage und
eine halbe Loge in der Oper, aber sie em-
pfingen und machten nur selten Besuche. Ihr
Mann begleitete sie wohl auf einige Bälle im
Winter, liess sich aber nicht bewegen, mehr
als einen Ball im Fasching und ein Diner in
— i6 —
jedem Monate zu geben und Leanie war eine
elegante, vornehme Blume, die der Treibhaus-
hitze des Salons bedurfte. Der Rechnungsratii
starb schon im zweiten Jahre nach der Verhei-
ratung seiner Tochter und da seine Frau ihm
bald nachfolgte, war Leonie hauptsächlich
auf die Gesellschaft ihres Mannes angewiesen,
der jetzt die Ehe als Beruf betrieb. Er stand
um acht Uhr Morgens auf, erkundigte sich
bei seiner Frau, ob sie gut geschlafen habe,
frühstückte mit ihr und las ihr interessante
Theatemachrichten oder Unglücksfalle aus
der Zeitung vor, umarmte sie beim Ab-
schiede, kam zum Mittagessen nach Hause
und erzählte ihr, was er während seiner Ab-
wesenheit getrieben, ging, nachdem er ihr die
Hand geküsst, in den kaufmännischen Verein,
kam dann an Theatertagen zu seiner Frau in
die Loge, fuhr mit ihr nach Hause, nahm
dort seinen Thee u. s. w. Es ist wohl un-
nöthig, besonders aufmerksam zu machen,
dass dieses u. s. w^ ebenfalls zu den Berufs-
pflichten gehörte, die er pfKchtgefa-eu erfüllte.
Die schöne Frau versuchte es, mulmig
auf die Freuden der grossen Welt zu ver-
— 17 —
ziehten, das härene Gewand der Hausfrau
anzulegen und die Entbehrungen des häus-
lichen Lebens zu ertragen. Sie empfing,
wenn ihre Toilette beendigt war, den Bericht
der Köchin — einen Koch hatte ihr der
grausame Gatte versagt — über die Anord-
nung des Mittagessens, besah die Pariser
Modezeitungen und blätterte in den neuesten
Romanen, läutete aber bei längeren Natur-
schilderungen, oder wenn der Dichter ein
besonderes Gewicht auf den psychologischen
Entwicklungsprozess legte, dem Bedienten
und Hess anspannen, um in den Prater
oder zu ihrer Modistin zu fahren, oder sie
setzte sich an's Klavier und spielte ihre Lieb-
lingssteTlen aus den Opern Richard Wagner's.
Sie schwärmte nicht nur für die Musik, sondern
auch für die Dichtungen dieses Meisters. Sie
versäumte selten die Aufführung einer seiner
Opern, wusste sämmtliche Liebesscenen aus
dem „Ring des Nibelungen*' auswendig und
citirte Verse aus denselben, wenn die Ge-
legenheit halbwegs einer kleinen Alliteration
günstig war. Aber sie begnügte sich nicht
damit, die Küche zu überwachen, es dem
2
— i8 -^ .
Gesinde nie an Arbeit mangeln zu lassen
und in freien Stunden, wenn auch nicht
Flachs, so doch die unendlichen Melodieen
Wagner^s zu spinnen, sie hantierte auch selbst
mit Nadel und Scheere und hatte für den
Lehnstuhl vor dem Schreibtische ihres Mannes
eine Stickerei begonnen, in der zwei aller-
liebste, farbenschimmemde Colibris prangen
sollten. Aber ach, die beiden zarten Wesen
wollten unter unserem rauhen Himmel nicht
gedeihen, denn nur die beiden Schweife der-
selben waren kümmerlich gediehen, während
ihre armen schwachen Leiber die Freuden
des Daseins nie erfuhren. Es hätte allerdings
im Bereiche der Möglichkeit gelegen, dass
sie wie jene treue Gattin und brave Haus-
frau, die Homer besungen hat, dass sie wie
Penelope bei Nacht wieder auftrennte, was
sie tagsüber geschaffen, aUein es erscheint
dies nicht ganz wahrscheinlich, da sie sich
eines äusserst gesunden Schlafes erfreute.
Trotz allem dem blieb noch eine unsagbare
Oede in ihrem Herzen und sie fühlte sich immer
mehr vereinsamt. Sie wollte sich einen King
Charles anschaffen, um wenigstens ein Wesen
— 19 —
um sich zu haben, das mit Treue an ihr hing,
aber die Schoosshündchen kläffen und Lärm
verursachte ihr leicht Ohrensausen. Da hörte
sie eines Tages eine Nachtigall schlagen. Ja,
das war es, was ihr fehlte, nur der schmel-
zende Gesang Philomelens konnte ihre trau-
rige Einsamkeit erheitern. Ihr Mann . beeilte
sich, eine Nachtigall zu kaufen und brachte
ihr diese in einem prächtigen Käfig. Ach,
wie glücklich sie war, wenn die Nachtigall
schlug! Es war ihr dann, als würde ihr Herz
freier und als löse sich ihre Wehmuth in den
herrlichen Tönen auf und verklänge mit diesen.
Sie wollte Niemandem die Sorge für ihre me-
lodische Trösterin überlassen und fütterte sie
täglich selbst mit Mehlwürmern, sie gab ihr
alle möglichen Kosenamen, aber eines Tages
lag die Nachtigall todt in ihrem Käfige. Die
unglückliche Leonie hatte nämlich durch drei
Tage vergessen, sie zu futtern, aber daran
war ihr empfängliches Gemüth schuld, denn
sie hatte einen neuen französischen Roman
gelesen und war empört über die realistische
Herzlosigkeit, mit der der Dichter die Heldin
geschildert hatte. „Nein, so sind die Frauen
— 20 —
nicht!" rief sie, und las immer ergrimmter
weiter und weiter und darüber war ihre Nach-
tigall verhungert. Sie wollte jetzt nichts mehr
wissen weder von Nachtigallen, noch von an-
deren Singvögeln, sie sah es ein, wie sie seuf-
zend sagte, dass das Schicksal ihr nicht ein-
mal den Trost des armseligsten' Handwerkers
gönne, der sich an dem Gesänge eines un-
schuldigen Vögleins in seiner Werkstätte er-
getze.
Herr von Malzau befand sich bei dem
reichen Seelenleben seiner Frau recht wohl,
sein Gesicht wurde noch röther und sein
Leibesumfang wuchs fort Da aber auch der
blendend weisse Nacken Leoniens immer
üppiger wurde, konnte Niemand errathen,
dass diese Ehe eine unglückliche sei. Ihr
Mann hatte keine Ahnung, dass er sie nicht
verstehe, und küsste noch immer mit der
früheren Geläufigkeit jedes einzelne Grübchen
ihrer schönen Hand, ja eigentlich entdeckte
sie selbst ganz zufällig eines Vormittags, dass
sie unglücklich sei, als sie einen wunder-
schönen Schlafrock, den sie eben erhalten
hatte, vor ihrem grossen Ankleidespiegel ver-
— 21
suchte. Sie seufzte, als sie ihren herrlichen
Arm, ihre prächtigen Schultern und ihre
unverstandenen schmachtenden Augen im
Spiegel sah; je länger sie hinein schaute,
desto mehr empfand sie ihre Verlassenheit,
und sie war eine Stunde in Betrachtung ihrer
selbst vor dem Spiegel stehen geblieben, so
imglücklich fühlte sie sich. Es scheint, dass
man einer Dame auch von rückwärts an-
sehen kann, ob sie unglücklich sei. That-
Sache wenigstens ist, dass sie dem Spiegel
auch den Rücken drehte, und sich somit umge-
wandtem Kopfe lange betrachtete. Sie warf
sich dann in einen Lehnstuhl und sah ver-
zweifyt gegen die Decke, die von Makart
gemalt war, drückte das Taschentuch vor
die Augen, und als sie es wegnahm, war ihr,
iJs hätte sie bitterlich geweint. Allein das
Taschentuch war ganz trocken geblieben,
und doch war es nicht etwa wasserdicht,
sondern aus dem feinsten französischen Ba-
tist. Ja, sie konnte es sich nicht länger ver-
hehlen, sie war elend I Man ersieht daraus,
dass Leonie Wenigstens in ihren Anforderungen
— 22
an das Elend sehr bescheiden war. Deiüi
es giebt Leute, die auch in dieser Beziehung
so übermässige Ansprüche erheben, das« sie
von einem ordentlichen Elend Siechthum,
Armuth oder andere Misshandlimgen des Ge-
schickes verlangen. Nach und nach bildete
sich die schöne Legende in ihrem Kopfe,
sie habe ihrem Manne ihre Jugend zum
Opfer gebracht und dieser habe sie schnöde
verrathen, und sie brachte nunmehr, da sie
sehr viel Geschmack besass, ihre Toilette
mit dem Martyrium, unter dem sie litt, in
entsprechenden Einklang. Aber ihr Mann
war ein Barbar und verrieth nicht das ge-
ringste Verständniss für die kleinen Nadel-
stiche, die sie ihm von Zeit zu Zeit versetzte*
Entweder wusste er nicht was gie ttieinte
und schüttelte dann seinen grossen dicken
Kopf, oder, wenn ihm ihre satirisch- elegt
sehen Bemerkungen gar zu unsinnig dünkien,
begnügte er sich: Närrchen! zu sagen und
lachte dabei so aus vollem Herzen, dass
Leonie sich solchem Stumpfsinne gegenüber
hilflos fühlte. Leonie hatte mit sechsund-
— 23 —
zwanzig Jahren geheiratet und seitdem waren
vier Jahre vorübergegangen, aber der Kummer
hatte ihr selbst ihre Erinnerungen geraubt
und sie glaubte daher, sie sei achtundzwanzig
Jahre alt.
III.
EONiE sass beim Klaviere und phan-
tasierte, das heisst, während sie mit
dem rechten Fusse sanft das Pedale
berührte und die beiden Hände auf den
Tasten ruhten und hin und wieder eine oder
die andere erklingen Hessen, sann sie nach,
welche Toilette sie heute Abend für das
Theater machen sollte. Ihre Phantasie war
gerade mit einem sanften Taubengrau be-
schäftigt, als ihr der Besuch der Majorswittwe
gemeldet wurde. Diese war in allen Salons
der Ringstrasse heimisch, denn da sie die
Wittwe eines verdienstvollen Officiers war
und überdies sämmtliche Mitglieder ihrer Fa-
milie dem Militärstande angehörten, hatte sie
zahlreiche Bekannte in der Armee, und man
— iS —
konnte daher bei ihr für einen Ball ein halbes
Dutzend junger Officiere zum Tanzen und
zwei bis drei höhere Stabsofficiere zur Aus-
schmückung der Wände bestellen, die sie
zum bestimmten Termine pünktlich ablieferte.
Man übersah aus dieser Rücksicht ihre Offen-
heit, ihr imgezwungenes Benehmen und die
oft peinliche Sorglosigkeit ihrer Ausdrucks-
weise, die ihr durch den häufigen Aufenthalt
in kleinen Garnisonen und den ausschliess-
lichen Verkehr mit Soldaten daselbst zur
Gewohnheit geworden war. Sie war dabei
sehr verliebter Natur, meinte es mit Jeder-
mann gut, war gefällig, wusste viel zu er-
zählen und würzte ihre Plaudereien mit Büdem
aus dem militärischen Leben und Citaten
aus Schiller. Da sie überdies ausser ihrer
Pension ein kleines Vermögen besass, und
daher Niemandem zur Last fiel, unterhielten
sich die Damen unter vier Augen, wenn Nie-
mand sonst hören konnte, wie die Wittwe
Alles bei seinem Namen nannte, sogar sdir
gerne mit ihr, um sich zu erheitern, und oft
noch lange, nachdem sie weggegangen war,
zu lachen. Leonie jedoch, die, wie so viele
— 26 —
gefeierte Scliönheit»n, keinen Sinn für Humor
hatte, nahm die Majorin sehr ernst und ärgerte
sich, nicht so sehr aus natürlichem Anstands-
gefühle wie aus Stok über den unpassenden
Ton, den die Wittwe oft anschlug.
Frau von Malzau erhob sich mit feier-
licher Langsamkeit vom Klaviere und machte
eine majestätische Handbewegung, um die
Eintretende zu begrüssen. Diese war eine
auffallend grosse, stark gebaute ^Blondine in
der Mitte der Dreissiger Jahre mit sehr ge-
färbtem Gesichte, grossen wasserblauen Augen
und lebhaften Geberden. Sie ergriflf sofort
die Offensive, indem sie Leonie bei beiden
Händen fasste, an sich zog und auf beide
Wangen so stürmisch küsste, dass die Stellen,
welche die Liebkosung empfangen hatten,
noch geraume Zeit durch einen rosigen Hauch
verrathen wurden.
„Ach, was Sie für kühle Wangen haben",
rief sie, indem sie neben Leonie, die sich
mit allen Anzeichen der Erschöpfung auf das
Sofa gesetzt hatte, Platz nahm, „ich beneide
Sie darum, denn die meinigen glühen immer,
als wenn ich gerade von einem Manoeuvre
— 27 —
zurückkäme. Und wie hübsch Sie siad, Sie
werden jeden Tag schöner! Und wdche
prächtige Frisur Sie wifeder haben, nur Schade,
dass die Scheitel so fürchterlich zerkaust sind.
Ich weiss, das ist jetzt Mode, aber diese ist
nicht nach meinem Geschmack, bei mir roüss
immer Alles glatt gestrichen sein, kein
Härchen darf aus dem Glied hervortreten;
ich glaube, mir würde mit Ihrer Frisur kein
Bissen schmecken, es würde mir immer
vorkommen, als sei ich gerade aus dem
Bett aufgestaöden. Und was macht Herr
Plunz?"
Leonie, deren Gerechtigkeitsgefühl durch
die vollständig unbegründete Kritik ihrer
Frisur gekränkt war, sah bei Nennung des
Namens Plunz zur Decke empor, als wenn
sie sich auf einen Herrn dieses Namens nicht
zu erinnern vermöchte.
„Ich glaube gar, fuhr die Wittwe fort, Sie
können sich nicht mehr auf Ihren Mann be-
sinneii und memer ist mir noch immer un-
vergesslich. Ja die Mätmer lernt man erst
schätzen, wenn man sie nicht mehr hat."
Leonie lächelte gezwungen. „Idi hörte den
— aS —
Namen, den mein Mann einst führte, bevor
ich noch seine Gattin war, gar nie, und es ist
daher kein Wunder, wenn er mir für den ersten
Augenblick ein. bischen fremdartig klingt."
„Ach Gott, ich verstehe, aber ich kann
wieder nicht alle die neuen Namen im Kopfe
behalten, die meide alten Bekannten, seit sie
geadelt wurden, sich beigelegt haben. Es ist
ja eine ganze Kompagnie, und man müsste
ein Gedächtniss wie ein alter Feldwebel
haben, um sich sie zu merken. Und dazu kommt
jetzt noch die Verwirrung durch die Gerichte,
indem sie Viele, die erst vor Kurzem den Adel
erhalten haben, 3^rurtheilen, so dass die Armen
diesen wieder verlieren und genau so heissen
wie vorher, wie zum Beispiel der Herr von
Brandau, der durch die Geschworenen wieder
seinen früheren Namen Brandel zurückbe-
kommen hat, und seit drei Monaten im
Kriminal sitzt"
„Ich erfahre gar keine Neuigkeiten mehr",
sagte Leonie ärgerlich , „seitdem ich so sel-
ten in die Gesellschaft gehe, und wenn ich
sie auch höre, so interessiren sie mich kaum",
und dabei seufzte sie tief.
— 29 —
„Wief mekncholisch Sie aussehen, ganz
wie die Maria Stuart. „Eilende Wolken,
Segler der Lüfte, wer mit euch wanderte,
wer mit euch schiffte!" Wissen Sie, was
Ihnen fehlt, gute Leonie? Ein Kind, so ein
recht schlimmer Junge, der immer schreit,
imd dem man in Einem ft>rt die Nase putzen
muss, und wenn man damit fertig ist, küsst
man ihn ordehdich ab und da geht erst recht
der Höllenlärm los."
Leonie entsetzte sich bei dieser Schil-
derung des Familienglückes und machte mit
beiden Händen eine abwehrende Bewegung.
Aber die Wittwe beachtete es nicht und fuhr
in ihrem Redeschwalle fort:
„Ja, ein Kind ! Mein armer Mann hat wohl
einen schwachen Versuch in dieser Richtung
gemacht, der aber leider ganz fehl schlug. Ach
Gott, hätte ich nicht damals fausse couche
gemacht, so wäre mein Manuel — denn so
wollte ich meinen Sohn nennen, da ich mit,
meinem Manne einige Monate vorher gerade in
der „Braut von Messina" war — jetzt schon
im zweiten Jahrgange der Wiener Neustädter
Militärakademie. Ich würde ihm monatlich
— 30 —
zelm GuM^i Zulage geben , uad alle Sonn-
tage müsste er mich besuchen und bei mir
speisen , und ich liesae ihm einen echten Ri-
sotto kochen, dfion er würde ihn wahrschein-
lich ebenfalls gerne essen, wie sein Vater,
der sein Leben dafür gelassen hätte, mit
recht viel Käse. Wie glücklich wäre ichl
Mein armer Mann hat an jenem! traur^en
Tage fast noch mehr gelitten als ich. O, ich
entsinne mich noch, wie gerade, nachd»n
das Unglück geschehen war, Kanonenschüsse
gelöst wurden, zum Zeichen, dass sich der
Eisstoss in der Donau, von dem man eine
Ueberschwemmung besorgte, in Bewegut)g
gesetzt habe. Und da suchte mich n^ein
Mann zu trösten und drückte meine I^and
und sagte: Wenigstens bekommt der arme
Bursche ein militärisches Leichenbegängniss !
Und jetzt steh* ich einsam in der Welt ohne
Maim, ohne Kind; ich bin zwar in der I«eih^
bibliothek abonnirt, aber da liest man immer
niu', wie andere Leute heiraten, und kommt
sich dann noch verlassener vor. Na, man
weiss freilich nicht, was Alles geschehen
kann, die Männer sterben ja nicht aus. Doch
— 31 —
ich vergase ganz den Zweck meines Besuchs.
Wissen Sie, dass unsere gemeinschaftliche
Freundin, Frau Blum, sehr böse auf Sie ist,
dass Sie schon sdt so langer Zeit sich bei
ihr nicht blicken Hessen. Ich habe ihr ver-
sprochen, Sie zu überreden, dass Sie wenig-
stens am nächsten Empfangsabend, der der
letzte in dieser Saison ist, bei ihr erscheinen.
Es wird grossartig werden und der gediegene
Musikkritiker, Doktor Brauser, der ein so
grosser Musikkenner ist, dass ihm selbst die
Patti nicht gefallen hat, hat ebenfalls zuge-
sagt zu kommen und ein Feuilleton über den
Abend zu schreiben. Der berühmte Schwap-
pel hat nämlich eine Einladung fUr den
Abend angenommen.^'
„Verzeihen Sie", sagte Leonie, schmerz-
lich lächelnd, „aber ich fUhre ein solches
Einsiedlerleben, dass ich noch nicht einmal
von Ihrem berühmten Schwappel etwas ge-
hört habe."
„Was, Sie kennen nicht den Komponisten
der „Berserker -Symphonie", die so gross*-
artig ist, dass sie nirgends aufgeführt werdea
kann? Und in allen Salons reisst vQ^an sich
— $2 —
f^vad ihn, und unter den Damen herrscht nur
eine Stimme darüber, dass er dämonisch ist.
Er ist erst vor vier Wochen von Bayreuth
zurückgekommen, wo er Richard Wagner
besucht hat, und der Meister erklärte,
Schwappel sei das grösste Genie nach ihm,
so zwar, dass sich Wagner seine eigenen
Kompositionen von ihm vorspielen Hess, die
seit den „Meistersingern" erschienen sind.
Denn was der Meister bis zu den Meister-
singern geschrieben, sagte er Schwappel
selbst, seien nur Jugendsünden. Nun das
macht freilich nichts heutzutage, denn in allen
Zeitungen kündigen sich ja die Aerzte zu
Dutzenden an, welche die Folgen derselben
kuriren. O, er wird auch Sie hinreissen,
wenn Sie ihn sehen werden. Er hat raben-
schwarzes Lockenhaar, das ihm in Folge
des anstrengenden Klavierspiels immer über
die Sdme föUt; er ist ganz glatt rasiert, so
dass man nicht weiss, ob er jünger oder
älter aussieht, als er ist, und dunkle Augen
hat er, ungeheuer interessant, wie die Sechs-
pfünder. Und dabei hat er ein so gutes
HerzI fiätten Sie nur neulich gehört, wie er
— 33 —
Mendelssohn und Meyerbeer wegen -ij^rej*
verfehlten Leistungen bedauert hat, so da'ss
ich selbst, die ich doch abgehärtet bin, Mit-
leid mit ihnen empfunden habe. Einen reichen
Freund hat er, von dem ist er unzertrenn-
lich, denn die berühmten Männer brauchen
immer Freunde, wie schon Schiller in der
„Bürgschaft" sagt: „Ich lasse den Freund dir
als Bürgen, ihn magst du, entrinn^ ich, er-
würgen." Der Freund heisst Goldscheia und
gehört zwar dem auserwählten Volke an,
aber er hat mir vor vierzehn Tagen bei einem
Souper mitgetheilt, dass er an den jüdischen
Ostern kein ungesäuertes Brot isst, weil er
zum Wuotan übergetreten ist, das ist näm-
lich ein altdeutscher Gott , der mit seiner
Frau schlecht gelebt hat."
„Eine der erhabensten Gestalten", unter-
brach sie Leonie, „die Wagner geschaffen hat."
„Ja, derselbe. Goldschein war früher bei
seinem Vater im Getreidegeschäft,' aber seit
dieser todt ist, ist er ebenfalls Komponist. Er
hat wohl bis jetzt noch nichts komponirt,
aber er fängt schon seit zwei Jahren eine
Oper an. Nur kommt er damit nicht vor-
3
— 34 —
wärts und leidet daher fortwährend, wie er
mir gesagt hat, an inneren Kämpfen; das ist
so eine Art KoHk, die alle Genies haben. Er
ist aber sonst ganz gesund und drei Jahre
älter als ich, nur sehr klein und ein wenig
schwächlich. E>ie Hauptrolle in seiner Oper
wird, wenn sie fertig ist, eme nordische Jung-
frau singen, wie bei Wagner, in dessen Opern
auch die meisten Frauenzimmer Anfangs Jung-
frauen sind. Sie heisst Schwanhilde, erinnert
aber doch sehr an die Königin in Schiller's
Don Carlos, denn sie soll einen König hei-
raten, hat aber mit dessen Sohn ein kleines
Verhältniss. Er muss überall sein, wo Schwap-
pel ist, und er war auch mit ihm in Bayreuth
beim Meister, der ihm verzieh, dass er ein Jude
ist, da er glücklicher Weise drei Ablasszettel
vorzeigen konnte, nämlich Patronatsscheine fiir
das Bayreuther Theater, die er gekauft hat. Als
sie vom Meister Abschied nahmen, um nach
Wien zurückzureisen, war dieser gerade mit
seber Morgentoüette beschäftigt und probirte
eben ein Frühstücksbarett. Goldschein bat ihn
um ein Zeichen der Erinnerung, aber der
Meister erklärte, er habe schon Alles, was er
- 35 -
entbehren könne, weggegeben, bis auf ein
Paar alte Schlappschuhe, die er aber, weil
das Vateiiaad so undankbar gegen ihn sei,
dem Kensington -Museum in London zu ver-
machen beabsichtige. Glücklicher Weise sah
Goldschein auf dem Waschtisch eine alte,
schon sehr abgebrauchte Zahnbürste liegen,
die bat er sich aus und der Meister schenkte
sie ihm endlich nach langem Bitten. Gold-
schein beabsichtigte Anfangs, sich aus Ver-
ehrung für den Meister jährlich einmal, näm-
lich am Geburtstage desselben, die Zähne
damit zu putzen, aber später besann er sich
anders und liess die Borsten, die noch vor-
handen waren, herausnehmen und eine Uhr-
kette daraus anfertigen, die er jetzt beständig
trägt Die berühmte Pianistin Fejerhazy, eine
Schülerin Liszt^s, hat die Reliquie in einem
Wohltbätigkeits- Konzert öffentlich zuerst an
ihre Brust gedrückt, die allerdings, unter
uns gesagt, flach ist wie ein Exerzierfeld,
und dann dreimal gekttsst.
Denken Sie nur, er ist ungeheuer in mich
verbrannt. Nach dem Souper ui^ängst, von
dem ich Ihnen erzählt habe, wo er nichts von
- 36 -
den ungesäuerten Broden wissen wollte, weil
Wuotan auch die jüdischen Ostern nicht ge»
halten hat, setzte er sich neben mich auf das
Sofa und sprach gar nichts, sondern schielte
nur fortwährend unter mein Kinn — ich war
nämlich dekolletirt, wie es im „Reiterlied"
von Schiller heisst, „die Brust im Gefechte
gelüftet" — und seine Blicke waren so deut-
lich, dass ich meine Pfeffermünzbonbons neh-
men musste, um nicht zu erröthen. Zu-
fällig erzählte ich in seiner Gegenwart, dass
mir mein Rosaatlaskleid durch die Un-
geschicklichkeit des Fiakers beim Nach-
hausefahren so zerrissen worden sei, dass
ich es nicht mehr verwenden konnte und .
meiner Köchin schenkte. Und Tags darauf
kommt er zu dieser und bietet ihr dreiasig
Gulden, wenn sie ihn ein so groisses Stück
herunterschneiden lasse, als für ein Paar At-
lashosen für ihn ausreiche. Die Köchin -war
damit einverstanden und jetzt trägt er mein
Kleid als Hosen. Denn seit es bekannt ist,-
dass der Meister nur in Atlashosen und Atlas-
schlafröcken komponirt, sind diese allen Wägr •
nerianern unentbehrlich geworden. Aber lUs •
— 37 —
ich ihn wieder in Gesellschaft traf, nahm ich
Revanche dafür, dass er mir so in's Kleid
geschielt hatte und musterte seine Beine mit
solcher Aufmerksamkeit, dass das ErrÖthen
diesmal an ihm war. Der Arme, er könnte
zehn Paar Atlashosen vertragen, und wäre
noch immer nicht zum Jockey verdorben.
Und ich hörte dann, wie er zu Schwappel,
auf mich blickend, sagte: Ein Götterweib —
eine Walküre! Und da doch Jeder gern
wissen will, wie er aussieht, so ging ich in
die nächste Vorstellung der „Walküre". Nun,'
ich bin mindestens um einen halben Schuh
höher als die Walküre im Operntheater, dann
ist sie beritten und führt auch immer ihr
Pferd mit sich, während ich, wie Sie wissen,
in die Infanterie geheiratet habe. Aber sonät
war ich mit dem Vergleich ganz zufrieden*"
„Ich kann Sie nur", sagte Leonie, „be-
daueln, dass Sie bloss die „Walküte" gehört
haben, ich habe bisher keine Vorstellung des
Nibelungenringes versäumt, es ist die einzige
Freude, die mir noch geblieben ist. Gerade
als Sie eintraten, spielte ich di6 herrliche
Liebesscene zwischen Siegmund und Sieg-
- 38 -
linde/' und Leonie lehbte sich zurück, scHloss
die Augen und lispelte: „O süsseste Wonne!
Seligstes Weib I *'
„So," rief die Majorin, „das war eine
Liebesscene und als ich bei Ihrer Thüre war,
glaubte ich schon, der Klavierstimmer sei
hier. Aber freilich, bei Wagner kann man
dann nicht genug vorsichtig sein. Aber wo
Alles liebt, kann Carl allein nicht hassen,
sagt Schiller in Don Carlos, und vielldcht
werde ich auch noch einmal Atlashosen
tragen."
„O lieblichste Laute, denen ich lausche",
hauchte Leonie.
„Sie wissen ja den ganzen Wagner aus-
wendig, wie ich meinen Schiller. Doch es ist
Zeit, dass ich gehe, der Mohr hat seine Ar-
beit gethan, der Mohr kann gehen, wie es in
„Fiesko" heisst. Sehen Sie, das schreibt
dem Schiller Keiner nach. Der Othello von
Shakespeare ist zwar auch ein Mohr, aber so
etwas, wie der Mohr hat seine Arbeit gethan,
der Mohr kann gehen, kommt im ganzen
Trauerspiel nicht vor. Es ist so wahr, so
aus dem Lefeen g^riffen, so Jedem aus der
— 39 —
Seele geEprochen. Ich kano sonst die Mohren-
stUcfce nicht leiden und bevor ich einen Mohren
beirUen würde, bliebe ich lieber Wittwe. Ich
habe xvrar kdn Vonirtheil, aber es ist nur
wegen der Kinder. Ich glaube, schwarze
Kinder würden sie in einem Mllitäremehungs-
hause gar nicht aufnehmen, und sie haben
auch Recht, ein schwarzer Lieutenant wäre
EU auffallend. Nein, es geht doch nichts
über einen weissen Mann. Also nicht wahr,
Sie werden sich am nächsten Mittwoch den
dämonischen Schwappel ansehen? Leben
Sie wohl, ich werde es überall erzählen, dass
die schöne Leonie kommt und der Salon
wird überfüllt sein."
„Ich werde, wenn ich so viel Gemüthsruhe
finde, dass ich hoffen darf, der Gesellschaft
nicht durch meine Laune zur Last zu fallen,
kommen, vorausgesetzt, dass mein Mann
nicht zu schläfrig sein wird."
„O, ich kenne Ihren Mann zu gut," rief
, die Wittwe unter der Thüre, „er ist em Duck-
mäuser, er weiss schon, warum er so zeitig
schläfrig ist," und dabei drohte sie schalk-
haft mit dem Finger und schloss die Thilre
so rasch hint«r sich, dass der keusche, stra-
fende Blick Leoniens nicht mehr die Majorin
traf, sondern eine vollständig unschuldige Sn-
sanna im Bade, deren Bild sich an der Thür-
wand befand.
IV.
ER Salon der Frau Blum war am Mitt-
woch besuchter als an den früheren
lEmpfangsabenden. Der Geist der
Dame des Hauses sowie der Ruf ihrer Küche
und die künstlerischen Genüsse aller Art, die
geboten wurden, übten zwar stets ihren Zau-
ber, aber diesmal hatte besonders die Neu-
gierde, den dämonischen Schwappel zu sehen
und zu hören, sowie die Sehnsucht, von ihm
bezaubert zu werden, die Damen angezogen,
während die Kunde, dass. die schöne Frau
von Malzau nach längerer Zurückgezogenheit
wieder erscheinen werde, die Männerwelt an-
gelockt hatte.
Frau Blum fand in der Pflege der Kunst
den Frieden der Seele wieder, den ihr eine
— 42 —
Reihe widriger Schicksale geraubt hatte. Ihr
Mann war ein angesehener Grosshändler ge-
wesen, dessen Unternehmungen jed6ch vom
Glücke nicht begünstigt wurden, bis er zwei-
mal in Konkurs gerieth und so in den Besitz
eines sehr bedeutenden Vermögens gelangte,
das ihm erlaubte, künftighin nur auf die Pflege
seiner angegriflenen Gesundheit bedacht zu
sein. Sein Nervensystem war nämlich in
Folge der vielen Schläge, die ihn getroffen
hatten, vollständig zerrüttet worden und er
führte deshalb seit drei Jahren, fem von dem
trauten Kreise seiner Famüie, das traurige
Nomadenleben eines Kranken, der seine Zelte
nur unter einem müden blauen Himmel auf-
schlagen darf. Man sah ihn daher in Nizza,
Vevey, Baden-Baden, Ostende u. s. w. und
zwar stets in Gesellschaft einer schlanken
brünetten Dame, deren Sonnenschirm und
Mandlle er trug, so dass man annahm, dass
(^eser die Pflege für den Leidenden anver-
traut sai. Unglücklicher Weise sah das auf-
opfernde Wesen einer Tänzerin aus der ersten
Quadrille des Wiener Opemtheaters zum Ver-
wechseln ähnlich, die vor drei Jahren 4urch
— 48 —
em Fussleideii, wie es hi^s«; gezwutigcn wofv
den war, ihrer Kunst fdr einige Zeit zu ent-
stigea. äo fanden sich deim einige Leicht^
glänbige, lUr die es fbststand, Herr Blum
sei mit jener Quadrillekünsllerin damals ms
Wien dtirchg^ai^en und die Fütele der Bai-
lerina bedürften ebensowenig der Schommg,
wie die Nerven des Grosshändlers. Defe* Ehe
der Frau Bhim war lam ein Knäblein ent-
sprossen, das schon frühzeitig eine solche
Entwicklung seines Schönheitssinnes venrieth,
dass die Mutter es angezeigt fand, dessen
weitere Ausbildung einem höheren Pensio«
nate zu überlassen, um von den unausge-
setzten Beschwerden ihrer Diensttnädcfaen und
Köchinnen über die ZudringUdikdten des
munteren Knaben nicht ^veher behdligt zu
werden.
Die £n^fangs2!inüner der Frau Bhim ver-
riethen, das^ (fe in neuester Zeit so modern
gewordene ält^e Kunst auch in dieser für
sdles Schöne so empfänglichen Frau dne
eifrige Bewundeiin gefunden hatte. AUe
Räume waattB nääAMeh mit Gypsahgitssen und
anderen I^bbiklui^en ^enlhmter Skulpturen
— 44 —
der Antike sowie der Renaissance ausge-
schmückt. Die kunstsinnige Hausfrau hatte
sich für die Auswähl der Kunstwerke sowi*
deren Anordnung des bewährten Beirathes
eines Privatdocenten der Kunstgeschichte be-
dient, weichet zu den ältesten Gästen ihrer
Empfangsabende gehörte. I>a den Vorlesun-
gen desselben an der Universität nur vier Stu-
denten beiwohnten und er dennoch von dem
leicht begreiflichen Bestreben erfüllt war, einen
grösseren Kreis andächtiger Zuhörer um sich zu
sammeln, so besuchte er sehr gerne den Salon
der Frau Blum, in welchem er immer eine oder
die andere Dame zu finden gewiss war, die sich
noch kein klares TJrtheil über Michel Angelo
oder Sansovino gebildet hatte und daher seine
Erläuterungen dankbar aufnahm, und wo er
gleichzeitig einer verschämten Neigung zu
Rheinlachsen und steirischen- Kapaunen zu
fröhnen in der Lage war. Dabei hatte Frau
Blum mit feinem Takte Vorsorge getroffen,
dass auch das empfindlichste Auge nicht durch
gewisse, allerdings der Natur abgelauschte,
aber nichtsdestoweniger verletzende Bestand-
theile der Skulpturen beleidigt werde, indem
- a5 -
sie zwar auch dem Nackten ein.Asj^l in ihrem
Kunsttempel gewährt, doch durch eine sta«-
nige Gruppirung von Blumeai, Sträuchem und
Bäumchen um dieselben, jede etwa gegen die
Schamhaftigkeit gerichtete Spitze zu nehmen
gewusst hatte. So machte ein hoher stach*
liger Kaktus den Apollo von Belvedere auch
weiblichen Bewunderern zugänglich, während
an der verfänglichen Rückseite der Venus
Kallipygos ein Lorbeerstrauch aufstrebte, so
dass die schöne Göttin, indem sie den Kopf
nach rückwärts waödte, nicht eine frivole Eitel-
keit befriedigen, sondern eiinem naiven Er-
staunen darüber Ausdruck geben zu wollen
schien, jene Pflanze, die sonst nur ruhmreiche
Stirnen beschattet, an einer für Eln:eiü>ezei*
gungen so wenig geeigneten Stelle wieder-
zufinden. Wie gewöhnlich war auch heutto
der Privatdocent der erste Gast. Nachdiem
er die Hausfrau begrüsst hatte, sah er sich
um und sagte:
„Ich. bin heute, ¥rie es scheint, der
Erste, aber die Sorge um unseren sterbenden
Fechter machte mich tmruhig« Wie steht es
mit ihm?"
— 4^ —
„Ich (iaßke^^, crwiederte Frati Blum, „er
ist schon wieder ganz hergfestellt und sieht
so gut aus wie Mher. Die Cho|[<j4ade hat
ihm glücklicher Weise gar nicht geschadet/^
„Dass aber auch^S rief der Privatdocent,
unwiUig den Kopf schüttelnd, „Frau Gerstner,
da sie doch weiss, dass sie der geriogfiigigste
Umstamd zum Niesen rei^, in der unmittel-
baorsten NiUie eines solchen Kunstwerkes Cho-
kolade trinken musste, ist wirklich unvai'zeih-
lieh.«
Er verbeugte sich und ging dann in den
Ammern auf und ab, indem er die Hände auf
den Rücken legte, vorsichtig umspähte mid
kleine, äusserst bedächtige und leise Schrkte
madite, Gewohnheiten, die er in Folge seiner
häufigen Besuche von Museen und GaUerien
den Aufsehern derselben abgeguckt hatte.
Badd darauf trat ein alter pensiomrter Oberst
em, den die Majorswittwe für den Abend
und zwar mit der Uniform zugesagt hatte.
Frau Blum drückte ihre Freude tiber das £r-
schetneu eines Offiders aus^ dessen nibm«
volle Thaten sie immer mit Bewunderung er-^
füllt hatten. Der Oberst hatte aber inzwischen
— 47 —
die Uhr an der Wand scharf m's Ange ge-
fasst UBd beäierkte in entsdüedvttem Tone:
„Die Uhr geht zu langsam, es sind sckon
zwan^ Minuten über Acht!"
Und dabei sah er die Hausfrau mit einem
Blicke an, der verrieth, dass er durchaus
nicht geneigt sei, sich hinter's Licht führen
zu lassen. Er war nämlich gewohnt, um acht
Vhar zu nachtmahlen, und et hatte die Ein-
ladnng der Majorin, gegen die er sich
Anfangs mit Rücksicht auf die späte Stunde,
zu der man beim Civü soupire, gesträubt hatte,
erst angenommen, ais ihm von der Wittwe
versichert worden war, dass bei Frau Blum
noch vor dem Souper, und zwar schon
um neun Uhr, ausgiebige Erfrischungen her-
umgereicht würden. Die Hausfrau stellte den
Obersten und den Privatdocenten einander
vor, und der letztere wusste die Schritte des
Kriegers in unauffälliger Weise derart zu
lenken, dass sie plötzlich vor dem „Dorn-
auszieher" standen. Er suchte jetzt in mög-
lichst schonender Weise einen kleinen Vor-
trag über dieses Kunstwerk zu beginnen, allein
der Oberst besah dasselbe nur von rück-
_ 4» —
wärts uiid mächte hierauf, sichtlich enttätischt,
wahrscheinlich weil steh auch dort kein Büffet
btfandj schleunigst Rechtsum. Er warf sich,
ohne sich um den Kunstgelehrten weiter zu
kümmern, in einen Lehnstuhl, wo er in
fieberiiäfter Ungeduld seinen riesigen Schiiurr-
bart drehte.
Nach und nach begannen die Säle sich
mit einer grösstentheils kunstsinnigen Gesell-
öchaft zu füllen. Von den beiden jungen
Männern, die mit einander sprachen, ohne
jedoch einander zuzuhören, war der Eine
ein Arzt, der ein leidenschaftlicher Klavier-
spider war, und in Folge dessen, wenn er
eu einem Patienten gerufen wurde, in hohem
Grade zerstreut war. Eine Hofräthin, die ihn
eiligst hatte holen lassen, weü sie besorgte,
däss sie Mittags giftige Schwämme gegessen
habe, erzählte nachher, dass er, während er
ihr angeblich den Puls gefühlt, mit seinen
Fingern heimlich den Rakoczymärsch auf
ihrem Arme gespielt habe« Der Andere war
ein Advokat, der bisher vergebens Lustspiele
gedichtet, vor Kurzem giher das Glück gehabt
hatte, dass eines derselben in Brunn aufgeführt
— 4$ —
wurde, imd» da seine Sch^mester an eincsi der
hervc^rageodsten TudxfiabrikjanUin daselbst'
verhmatet war, einen Achtungserfolg errangt
Der beleibte SchneUseg^, der in solcher >
Aufregung ducch,dteS^ eihe und eineDame aä
sdaem Arme mühsam nachschleppte, war ein
Reichstagslabgeordneter^ ein ashrzeicho; Spinn«
fabrikant und leidenschaAhcher Schutzzöltoer,
der ein Send^chreUaen an den Handelsminister
unter dem Titel: Wir verhui^m! veröfiTenÜiobt
hatte» £r remorquirte seine Gattin zu einem
Lehnstuhle, die, obwohL sie schon vierzig Jahre
alt war, erst begonnen hatte, Gesangsunterricht
zu nebnien, eine Neigung, welche ihr Mann
eUrigst unti&rstüt^te, da nach seiner: Ansicht
auch die inländischen Stimmen, sowie andere
Erzeugnisse des InKäfides, desto dringender
d^ Pflege und 4es Schutzes bedürften, je
mehr es ihnen an den! natürlichen Bedingungen
der Entwicklung fehlte. Das magere Fiäulem
mit langen Locken war eine beliebte Schnft*
stellerin, die iür sömnllüehe deutsche Wochen^
bUi;tter Artikel über die Gewohnheiten der.
9ti:d>enfiiegen . . achrieb. . Ihre- Gesichtszüge-
drüdc^n eine gespannte Aufmerksamkeit aus
4
— So-
und sie hatte den Kopf nach der Seite ge-
neigt, eine Kürpet^tung, die^ ihr in Folge
eines langjährigen Bekiuschens des Summens
der FUegen < eigenthümlich geworden war.
Auch ein Liebling der Sadoos, -ein Ministerial-
aekretär, war anwesend, der die Geberden
und Stimmen: der Hofschauspieler nach-
ahmte, und erst vor Kursem in einer Gesell-
schaSt, in der sich auch sein Minister befand,
einen Komiker des Burgtheaters so treffend
imitirt hatte, dass die Ueberzeugung aiige*
mein war, er werde nächstens in die Stelle
einefii Sektiopsrathes vocriicken.
Der sanfte Terpentingeruch, der sich ver*
breitet€f, rührte von einem Mater her, der för.die
Provinzstädte Allegorieen malte« S^rau Blimi
selbst/^är ihm zu einer Themis gesesien und
thronte jetzt mit vei-bandenen Augen,' ete
Schwert in der einen und eine Waage in 4er
anderen Hand, in diiem ' gaüijischen Schwur-
gertchtssaale. Auch die Majorswittwe, (Se eb^
hereingerauscht war, tmd deren Anwesenheit
sich durch die Küsse verrieth, von denen säie
Räume widerhallten, hatte er verewigt, und
diese zierte ah GU>ttin der Gesundheit den
— 5i ~
Versammlungssaal eines böhmischen Apo-
thekergremiums. Schade, dass sein Blick
nicht auf den Mann mit zerzaustem Haare
und Barte und in höchst verwahrloster Toi-
lette fiel, der unbeweglich, die Arme über die
Brust gekreuzt, gerade vor der Eingangsthüre
stand und dort demonstrativ nachdachte.
Er hätte ihn für eine allegorische Darstellung
der Verkehrshindernisse vortrefflich benutzen
können. Es war ein Germanist, der es sich
zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die bisher
für richtig gehaltenen Angaben über die Ge-
burtsorte der Minnesänger als irrige nachzu-
weisen, und eben wieder in einer Abhandlung,
die er der Wiener Akademie der Wissen-
schaften überreicht hatte, darzuthun bemüht
war, dass Walther von der Vogelweide in
Sievring bei Wien das Licht der Welt erblickt
habe. Er war nebenbei einer der eifrigsten
Anhänger des jüngsten Mmnesängers, Richard
Wagner's, imd hatte zur Feier des letzten
Geburtstages desselben eine Festschrift ver-
öffentlicht, in welcher er die Behauptung
widerlegte, dass Wagner in dem Hause am
Brühl in Leipzig, das eine Gedenktafel da-
4*
— 52 —
selbst als sein Geburtshaus bezeichnet^ ge-
boren worden sei. Der Brühl sei nämlich
seit jeher das eigentliche Judenviertel Leipzigs
gewesen und man könne unmöglich die Ge-
burtsstätte des glorreichsten Bekämpfers der
Juden seit Kaiser Titus dorthin verlegen,
wenn man nicht der Ansicht einiger Wider-
sacher des Meisters beipflichten wolle, dass
dieser selbst jüdischer Abstammung sei.
Der Baron mit der Riesenglatze, die selbst
bei den Ballethabitu^s des Opernhauses jedes
Mal Staunen erregte, war ein Beschützer der
Künste. Er wurde allgemein als der legitime Ur-
heber eines dreimonatlichen Unwohlseins einer
beliebten Vorstadtschauspielerin anerkannt,
und Hess sich gerade dem Allegorieenmaler
vorstellen, deö er fragte, wie viele Sitzungen
nach dessen Ansicht für das Porträt eines
neugeborenen Kindes nothwendig seien?
Plötzlich sprang Frau Blum, die mit der
Gattin des Direktors einer Taubstummen-
anstalt in eben freundschaftlichen Streit über
ein Salzfass des Benvenuto Cellini verwickelt
war, vom Sofa auf, und eilte dem eintreten-
den Doktor Branser entgegen, dem gefürch-
- S3 -
teten Musikkritiker und Feuilletonisten. Sie
nahm ihm das Packet Bücher ab, das er jedes
Mal, wenn er eine Gesellschaft besuchte,
unter dem Arme trug, hing sich dann an
seinen Arm, und während sie ihn durch alle
Säle geleitete, flüsterte sie ihm vertraulich in
das so musikverständige Ohr:
„Nun, ich denke, Sie werden heute Stoff
für ein sehr geistreiches Feuilleton haben.
Ich habe es an Nichts fehlen lassen, Sie
filiden Alles was Sie brauchen."
Schon hatte der Bediente dem pensionir-
ten Oberst, dessen Gesichtszüge statt des
bisherigen energischen, fast wilden Charak-
ters den milden Ausdruck eines halbsatten
Greises angenommen hatten, zum vierten
Male belegte Butterbrode gereicht, und noch
immer waren die beiden Magnete der Gesell-
schaft: Leonie und Schwappel, nicht erschie-
nen. Aber endlich trat die schöne Frau am
Arme ihres Mannes ein. Sie trug ein dunkles
Seidenkleid und hatte ein Bouquet von be-
scheidenen Scabiosen in der Hand. Sie sah
aus wie eine elegante schöne Wittwe, die
nach beendigtem' Trauerjahre wieder in die
- 54 -
Gesellschaft geht und deren Gesicht noch die
letzten Spuren des Grames verräth, der einer
traurigen Vergangenheit angehört, aber auch
schon das Aufblühen eines Lächelns, mit
dem man zukünftigen Triumphen entgegen-
sieht. Sie war bezaubernd. Sie sah die
glänzenden Blicke dei* Männer auf ihrer Ge-
stalt ruhen, sie hörte alle die Schmeichel-
ausdrücke der Bewunderung und roch zu
ihrem Bouquet. Aber sofort drängten sich
alle Damen, die sie kannten, an sie heran,
um sie zu begrüssen und zu verhüten, dass
sie allein die Huldigungen der Männer ab-
sorbire. Der Maler von Allegorieen für die
Provinz aber rief, als er sie erblickte:
„Gott sei Dank, da hätte ich ja das
Vertrauen gefunden, das die Sparkasse in
Arad bei mir bestellt hat!"
Doch mit einem Male wandten sich die
Köpfe der Anwesenden gegen die Thüre, an
deren Schwelle Schwappel mit zwei Beglei-
tern erschienen war. Nachdem dieser sein
Haar mit der Hand leicht aufgelockert hatte,
warf er einen Blick auf die Gesellschaft —
dämonisch, aber müde. Es herrschte eine
— 55 —
weihevolle Slalle, allem plötelich: hörte maiv
ein lautes Niesen, das sich wiedeiholte and
nach einer kleinen Pause von Neuem los»-:
platzte. Alles sah Frau Geestner an, und sie
war es auch in der That, die drdmal nach
einander geniest hatte. Ihre Nasenschleiib'
häute waren nämlich nicht nur für physisch^
Reizungen sehr empfindlich, sie wurden auch
durch seelische Vorgänge erregt . und ihre
Bewunderung Schwappe's verursachte ihar
einen Kitzel in der Nase, dem sie nicht zu
widerstehen vermochte. Frau Blum war ent-
rüstet ober diese prosaische Störung der äW*
gemeinen Andacht, aber sie fühlte in diesem
Augenblicke zu gross, um ihren Aerger nicht
sogleich zu unterdrücken. Sie empfing Schwap-
pel, der auf sie zugetreten war, enthusiastisch.
Da der eine seiner Bereiter, Herr Goldschein,
Frau Blum bereits bekannt war, stellte er nur
den anderen vor, einen grossen und starken
Mann, den Menschenkenner auf den ersten
Bück für einen Schmiedegesellen gehalten
hätten. Aber die Menschenkenner würden
sich lächer^h gemacht haben, denn es war
Herr Straubinger aus Passau, welcher erst
— 56 —
vor wenigen Tagen mit einer warmen Etn-
püshlung des Meisters, der ihn für den gross-
ten lebenden Sängo* des Wuotan erklärte,
nach Wien gekommen war. SchwappePs Brust
war mit dem persischen Sonnenorden ge-
schmückt Er hatte diesen während der
Anwesenheit des Schah in Wien für die Wid-
mung einer „Hymne an Ormozd'^ erhalten,
in der den fremdländischen Monarchen na-
mentlich das Hammelgeblöke, das darin mu-
sikalisch wiedergegd>en war, tief ergriffen
hatte. Goldschein trug nur das bescheidene
Bändchen des tunesischen Nischan-Iftikhar-
Ordens, den ihm sein Schneider, dessen Bru-
der Leibkoch des Bey von Tunis war, ver-
schafft hatte, während Straubinger^s Frack eine
Medaille zierte, die er als Belohnung für die
Lebensrettung des Schosshündchens einer
bauischen Prinzessin, das in einen Bach
gefallen war, bekommen hatte.
SGhwq}pel gab selbstverständlich dem
Flehen der Hausfrau, die Gesellschaft durch
sein Spiel zu entzücken, nur mit Widerstreben
nachx und versprach, eine Kleinigkeit selbst zu
spi^n imd sod^mn Straubinger, der bereit sei,
- 5; -
zo smgeny und xwar smn ersten Ms^ In Wien,
auf dem Piano zu begleiten. Frau Blum war
sdur gerahrt; sie habe immer, rief sie, für
die Kunst zn wirken gesucht, aber der Lohn
sd w«it grösser als ihr Verdienst,, denn mit
dem hentigen Abend ^erde von ihrem Salon
aus eine neue Periode in der Gesdiichte der
Musik beginnen. Frau Blum Ergriff den Arm
Schwappel's, die Majorswittwe hatte schon
frtlher von jenem Goldschein's Besitz genom-
men, imd die Gesellschaft verfügte sich in
den Konzertsaal. Nur das Fräulein, das die
Gewohnheiten der Stubenfliegen in sämmt-
lichen deutschen Wochenblättern beschrieb,
war zurückgeblieben und in tiefen Betrach-
tungen vor einer Herkulesstatue stehen ge-
blieben. Auf einem Lendenmuskel des Halb*
gottes sass nämUch eine Fliege, die sich
einige Male, vielleicht weil sie etwas ver-
schlafen war, mit einem der Füsse über den
Kopf fuhr. Vielleicht werden sämmtliche
deutsdie Wochenblätter schon bald die Mit-
theüung bringen, dass die Stubenfliegen auch
satirische Gewohnheiten haben. Denn die
Fliege trat, als sie sich beobachtet sah, mit
- 5? -
einem Male einen Spasiiergaiig toach abwIMrts.
an, so dass das Frihilem' die Feigenblätfasr
eines Orangenbäinnchecri behutsam bei Sehe
schieben nras^e, tm das Ttciben der Fliege
weiter beobachten zu köhn^n. Nachdem d^r
Fliege dieser unzarte Scheczlgehingen w«r,
flog sie heiter davon. . ' '
Frau Blum hatte aur Föier. der heuieii Pe-
riode in der Geschichte d^r-Musät' auch mit
ihren bisherigen Tendehi^en in der bildenden
Kunst gebrochen, indem sie xier modernsten
Plastik die Pforten d^ Kotizeltsaales g^ffhet
hätte. In der Mitte desselben bdiand sich
nämKch die Büste Wagner*s «us- Gyps auf
einem hohen Postamente, das trotz seines tm*
verfänglichen Karakters ebenfalls mit Bhimoi
verhüllt war. Frau Blum nahm einen Lor-
beerkranz mit einer grossen weissen Kokarde,
der auf dem Piano lag, und bekränzte unter
dem lebhaften Beifalle der Gesdhchaft den
schwefdsaurenKalk, der die Zöge des Meisters
trug. Goldschein trat vor das Klavier und ver-
beugte sich dreimal im Namen des abwesen-
den Dichterkomponisten. Nachdem er unter
erneutem BeiMe, an dem sich die Majors«
_ S9 -
wittwe diesmal b^onderä lebhaft betheiUgte,
auf seinen Platz zurückgekehrt war, setzte
sich Sdiwappel zum Klaviere. Er legte
die Hände neben einander auf die Tasten,
zog die Schultern ein und bettgte den Ober-
leib so weit nach vorne, dass die Haare auf
die Tasten niederfielen* Ein Fremder, der
eingetreten wäre, hätte geglaubt, es sei Je-
mand während des Klavierspielens einge-
schlafen. Aber es war nur der Kiaviertiger,
der zum Sprunge ausholte. Denn mit einend
Male richtete er sich auf, seine Züge ver-
zerrten sich, sein Auge rolke, er blähte die
Nüstern, als gälte es, einen Sturm aus der
Nase zu blasen, zeigte seine weissen Zähne,
fasste das Pedal mit den Füssen, als wollte
er es zertreten, hob die Hände bis über den
Kopf, fiel mit gierigen Krallen über das
schöne, schlanke, edelgebaute Klavier her,
und nun begann ein musikalisches Zerfleischen
— jedoch nur eines dritten Ranges. Keiner
wusste, ob das Beethoven, Berlioz, Wagner,
eigene Komposition oder bloss ^genialies Prä-
ludüren sei. Selbst Doktor Brauser wifsste es
nicht und fixirte die Wand gegenüber. Aber
— 6o —
aach dort befand sich kern g^drucfctes Pro-
gramm mit dem Namen des Kompomsten.
Leotue sass neben ihrem Manne, sie hörte
gju* nioht, was gespielt wurde, aber blickte
von Zeit zn Zeit das Gesitht des Spielers an,
denn der tobende Schwächling mit dem Ge-
berdenspiele eines Athleten interessirte sie.
Man findet in den Salons höchstens elegante,
witzige oder sentimentale, aber sehr selten
leidenschaftliche Menschen. Leonie hatte nie
einen solchen Mann kennen gelernt und sie
hielt Schwappel dafür. Dieser kam ihr auch
hübsch vor, frd^h war er schwarz, schwäch-
lieh und blassy während ihr Mann, auf den
sie hin \md wieder Verstohlen blickte, blond,
breit und roth war.
Goldschein zog die Manschetten hervor,
höhlte die beiden Hände und trat an Schwappel
heran, woraus die Gesellschaft entnahm, das#
dif^ Klavierstück semem Ende entgegen gehe'
und, um zu zeigen, dass ihr dies bekannt sei, in
einen JBe^aUsstQry) ausbrach. Schwappe raste
noch^jJKftl 1^^ die Tasten, es fiel ein Faust-
schla^Vuf diese nieder, darauf kam ein Pia-
nissimo-, clann tupfte er mehrere Male auf
— 6x —
eine Taste und nach einer Pause noch ein
einziges Mal uiul sank eischöpft zurüjck. Gold*
schein zog ein Taschentuch ans der Brust
und nachdem er es dem Freunde gereicht
und dieser sich damit das Gesicht abge*
trocknet hatte, entfaltete er es sorgfältig und
betrachtete es andächtig. Al>er es pas^ren
in unserer Zeit keine Wunder mehr, das Ge-
sieht ^chwappeFs war auf dem Taschentuche
nicht abgedrückt, wie jenes Christi auf dem
Schweisstuche der heiligen Veronika.
Die I>am^ bildeten einen Kreis um
Schwappel und überhäuften ihn mit allen jenen
A<^ektiven des Entzückens, die in den Konzert-
sälen schon längst das Bürgerrecht erlangt
haben. Doktor Brauser hatte in^wiacl^n dur^h
glückliches Laviren von Goldschein erfahren,
dasji das vorgetragene Musikstück ^der Galopp
der Berserkerbräutie*^ aus Schwappel^s Sym-
phonie war. Er trat daher auch in den Kreis
ein und erklärte, dass in der Komposition
SchwappeUs wohl der Getet . Wagner's wehe,
sowie dies in allem wirklich Gro$sen,^Jj{is vir ;* .
in der Musik noch fernerhin zu er4lrten ^
hätten, dar Fall sein werde, allein mit Ans-
■ '^•.
■■■■ " i:-*
— 6« —
nähme der Stelle Dmdiridiri, die leise an den
Walkürenritt des Meisters mahne, verrathe
jeder Takt die Selbständigkeit des Genies.
Er statine über die Grossartigkeit der Har-
monie, Se nirgends an melodischer Kurz-
athmigkeit kranke. Allerdings habe er die
Berserkdrsymf)honie zu Hause auf dem Kla-
viere durchgespielt, aber er schäme sich
durchaus nicht, einzugestehen, dass ihm erst
durch den meisterhaften Vortrag des Kom-
ponisten das wahre Verständniss erschlossen
worden sei. Nach seiner Ansicht hätte die
m ihrer Art einzige Stelle Dadaramdamdam,
wo man die Berserkerbräute beinahe stram-
pfen zu hören glaube, nur gewinnen können,
wenn sie noch mehr presto gespielt worden
wäre. Doch seien (fies kleine Bedenken, die
er hur äussere, weil das Lob des Kritikers
desto mehr wirke, wenn man erkenne, dass
dieser auch mit der unangenehmen Wahrheit
nicht zurückhalte. Schwappel, der die Kritik
berufsmässig aufs Tiefste verachtete, war
doch ^ vornehm, dies den st^kgelesenen
Musikkritiker fUhlen zu lassen, und er erwie-
derte, er sei stolz darauf, eine solche Wür-
— 63.^
djguiigfbrfahren lu haben, obwohl von cin«m
Manne, me Doktor Brauser, dem di^ neue ,
Mu^ es verdank«', daas iiir die Wegtuyj
* ma4^n;pei. .
Wahioid in: dieser Wäse« Kunst und
Kritik «inander huldigten, hatte die Majofs-
wittwe den Lorbeerkranz von det Büste Wag-»
ner's abgenomtaon und, indem sie sich hinter
Schwappe! schlich, drückte sie ihm deiiselben
jetzt aufs Haupt, Nur hatte sie ihm in der
Eile den Kranz verkehrt aufgeseilt, so dass
sich die weisse Atlaskokarde auf der Stirne
befand und die langen Bänder über das Ge<
-.-64 -
*
skl^ fielen, ein Schaaspiel, das die gehobene
Sttmmung der Gruppe mit einem Male in eine
nur schlecht verhehlte Heitericdt verwandelte.
^hr dämonische Schwappel war wüthend,
denn er glaubte An&ngs, ejpier jener Spass-
vögel, die so gerne in <len Konsert^äkn
nisten, habe ihm eine Fi^aenhaube au^iissetst,
und erst als er ds vermemtliche weibliche
Kopfbedeckung sich vom Kopfe riss und
den Lorbeerkranz sah^ £utd er seinen dänip-
nischen Gle^^uth wieder. Frau Blum war
ausser sicMktmd sagte händeringend zur Ma-
jotswitt^, der es schmeichdte, ebenfalls zur
Erheitefung der Gesellschaft bdigetragen zu
habeil:
„Sie wissen, wie sehr ich Ihre vielseitig
Begabung schätze, aber in das Labyiinth der
Kunst sollten Sie sich nie verurren. Die
Kränze sind nicht so doüach wie sie aus-
sehen und Alles will, gelernt sein, liebste
Freundin,*'
Der junge Advocat 4ber> der eine l^$t-
spielbegabung für Brunn hatte, rieb ?ich freudig
die Hände, denn die Bekränzung, die er eben
mit angesehen hatte, war ein äusserst wirk*
— 65 —
samei^ AktscWttss, der in jedem, nicht nur im
Brünner Theater, ein schallendes Gelächter
hervorrufen musste. Die Hausfrau war be-
strebt, den peinlichen Eindruck dieser Szene
so schnell als möglich zu verwischen und
traf rasch die Vorbereitungen för die Fort-
setzung des Konzertes. Goldschein verkün-
dete, dass Straubinger den Schlussmonolog
Wuotans aus der „Walküre** vortragen und
Schwappel ihn begleiten werde. Während
Schwappel sich wieder im Vollbesitze seiner
genialen Abspannung zum Klaviere setzte,
machte sich Goldschein um den Sänger zu
Schaffen. Er besah ihn von vorne und hinten,
er lockerte ihm, mit beiden Armen dessen
Hüften umschlingend, hinter dem Fracke die
Westenschnalle, dann steckte er ihm, sich
auf den Fussspitzen erhebend, zwei Finger
zwischen den Henidkragen, um zu unter-
suchen, ob die Kehle nicht zu eingepresst
sei, und endlich flüsterte er ihm etwas ins
Ohr, worauf Straubinger mit dem Kopfe
nickte und ihm seih Sacktuch zeigte. Und
nun verfugte sich Goldschein auf die andere
Seite des Klaviers neben Schwappel, und der
S
— 66 —
Passauer Sänger begann, indem er die vierzig-
jährige Gesangsnovize fudrte:
„Leb* wohly du kühnes herrliches Kind!
Du meines Herzens heiliger Stolz, leb* wohl!
leb' wohl!"
Schon nach diesem dreimaligeix „Leb*
wohl" des Gottes erhob sich ein stürmisches
Beifallsklatschen, denn das war keine Men-
schenstimme mehr, es war das Lebewohl eines
Ochsen, der zur Schlachtbank geführt wird.
Der Sänger hielt während des Vortrages den
rechten Arm steif ausgestreckt, um den Speer
anzudeuten, von dem sich bekanntlich der
Wuotan Wagner's niemals trennt. Nur als
die Stelle kam, in der Wuotan Brünhilden
einen Bräutigam in Aussicht stellt, „der freieff
als ich, der Gott", und diese sich ihm, er«
freut über diese unerwartete Ueberraschuog,
„gerührt und entzückt in die Arme wirft",
bückte sich Straubinger, spreizte die Füsse
weit auseinander und beschrieb mit beiden
Armen einen so weitläufigen Kreis, dass aus
der ganzen Umarmungspantomime hervor-
ging, er stelle sich Brünhilde als ein unter-
setztes Frauenzimmer von aussergewöhnlicher
~ 67 -
Beleibtheit vor. Auch zum Schlüsse gab er
noch eine Probe seiner schauspielerischen
Begabung, denn, nachdem er, um von Brün-
bilde „die Gottheit zu küssen'S diese „auf
beide Augen küsst'S ^^ sein Spiel von sol-
cher realistischer Wahrheit, dass man die
beiden Schmätze noch im nächsten Zimme
hörte. Die Majorswittwe war ausserordentlich
ergriffen und flüsterte der neben ihr sitzen-
den Frau Gerstner zu:
„Ganz wie mein Seliger, als er wegen
der Bildung eines Grenzkordons in der Buko-
wina gegen die Rinderpest von mir Abschied
nahm !" worauf Frau Gerstner, um ihre Rührung
zu verbergen, den Fächer vorhielt und hinter
demselben ergriffen nieste.
Nachdem der Vortrag beendet war, wurde
der Sänger auf 's Wärmste beglückwünscht, so
dass Goldschein hinauseilte, um diesen ersten
entscheidenden Erfolg des besten Wuotan-
Sängers in Wien dem Meister zu telegrafiren.
Doktor Brauser war des Lobes voll über den
Sänger und sprach einige gehaltvroUe kritische
Worte über dessen Ansatz, Mittellage und
AÜiemholen. Er theilte ihm mit, dass er als
5*
_ j
— 68 —
Fachmann sich auch für den anatomischen Bau
des Stimmorgans interessire, wie er denn auch
in der That die Stimmwerkzeuge der grössten
Sänger und Sängerinnen, die er zu hören in der
Lage war, genau besehen und untersucht habe.
Selbstverständlich müsste es für ihn von
höchstem Werthe sein, in gleicher Weise den
Kehlkopf des ersten Wuotansängers zu besich-
tigen, um vergleichende anatomische Unter-
suchungen anstellen zu können, und er ersuche
diesen daher, den Mund so weit als möglich
offnen zu wollen. Straubinger wusste die ihm
zugedachte Ehre zu würdigen und sperrte den
Mund so weit auf, dass einige nervöse Damen
zu schreien begannen. Doktor Brauser nahm
den Handleuchter, den man ihm gebracht
hatte, hielt ihn gegen den Mund des Sängers
und murmelte vor sich hin: „Ganz wie ich
es mir gedacht habe", dann sah er ihm in
den Hals, wobei er mehrere Male den her-
vorstehenden Adamsapfel des Sängers mit
dem Zeigefinger rieb. Die Majorswittwe sagte
leise zu Frau Blum:
„Ein Sänger kann sich das gefallen lassen,
aber wenn ich Sängerin wäre, liesse ich mir
- 69 -
von einem fremden Manne nicht so tief in
den Hals hineinschauen", worauf die Ange-
sprochene schlagfertig wie immer erwiederte:
„Die Kunst, liebe Majorin, hat kein Ge-
schlecht ! "
Endlich zog der Kritiker den Kopf zu-
rück, drückte die Hand des Sängers, und rief:
„Ganz phänomenall"
Hierauf nahm er ein Notizbuch aus der
Brusttasche und schrieb in dasselbe einige,
wahrscheinlich anatomische Bemerkungen.
„Ich begreife nicht", sagte Herr von
Malzau zu Leonie, „wie man von diesem
Sänger entzückt sein kann, freilich langweilt
mich auch der ganze Wuotan."
„Er ist allerdings zu vierschrötig und
plump", antwortete Leonie, „nach dem Bauche
ihres Mannes schielend, „aber er braucht
wenigstens keine Liebhaberrollen zu singen,
denn, dass er verliebt sein könne, würde man
ihm nicht glauben."
„Dagegen aber dem Anderen, dem Schwap-
pel. Was er für Augen hat!"
„Sein Spiel verräth Feuer und Kraft und
aus seiner Symphonie, die er gespielt hat,
— yö —
«
sprüht die Leidenschaft. Er erinnert mich
an Rubinstein."
Schwappel, dem schon früher die Theil-
nahme der schönsten und elegantesten Frau
in der Gesellschaft für ihn und sein Spiel
nicht entgangen war, hatte bereits Erkun-
digungen über Leonie eingezogen, und da er
jetzt merkte, dass sich Leonie und ihr Mann
mit ihm beschäftigten, Hess er sich diesen
durch die Hausfrau vorstellen.
„Sie haben meine Frau", bemerkte Herr von
Malzau, „sowohl durch Ihr Spiel wie durch Ihre
Komposition entzückt. Ich verstehe von beiden
nichts und könnte Ihnen daher nur ein unge-
schicktes Kompliment machen. Dagegen ist
Leonie sehr musikalisch und spielt nur die
Nibelungen Wagner's, so dass ich meine Frau
schon lange nicht gehört habe, denn die Leit-
motive Wagner's und die Leitartikel über die
orientalische Frage sind mir gleich langweüig."
Schwappel hatte sich vor Leonie, die er-
röthet war, verbeugt, dann wandte er sich zu
Herrn von Malzau und sagte bitter lachend:
„Wagner lebt noch, und das ist jedenfalls
ein Felller, vor dem sich das Genie am
— 71 —
meisten hüt^i nuiss. £rst wenn es diesen
Fehler abgelegt hat, ist man bereit, auch die
Vorzüge desselben anzuerkennen.^
Leonie nickte mit öem Kopfe zustimmend,
ihr Mann aber erwieöerte gutmüihig:
^Die arme Nachwielt. AVean sie alle Wech-
sel einlösen müsste, iSe auf sie gezogen werf
den, Uid>e ihr nichts libiig, ab sich bankrott
zu erldären«**
Fraiü Blum, der die Aeassensog von Mdh
nungsverschiedenheiten m ihrem Salm unan-
gienehm war, und die auch das Wort Bankrott
verabscheute, das sie an die kumiaervoUe
Ursache ihres bdmgUchen Daseins ecinnertei
viit^brach- das Gespräch:
„Ach, H«T von Malzau, Sie schteineik
nfieht nur ein- Gegner da* neuen Musik, BOtt*
dfosn wach der alten Plasdk zu sein, .denn
Sie haben sich ja mein Museum nodi Snifi^
niab genau ättgssehen. Leome besucht micb
wenigitshs Vormittags hin und wieder, Sio
aber meiden :niich zu jeder Tageszeit Kom-
men Sie, Barbar^ und^mchen See mir Ihren
ArÄl«
Der arme Herr von Malzau musste der
— 7« —
Fvau Blum den Arm reichen, dk^ ^Is sie, an
Doktor Brauser vorübergingen, 'diefeem iö*ä
Ohr wisperte: • '
„Schildern Sie mich in Ihrem Feuäleton
nicht etwa als Bärcniührerin, Bösewicht!"
Als sich Schwappel.htttte vorsteUen lassen,
war er «ntscMossen, das Glück, das ihin so
häufig bei den Frauto hbld gewe^iti war^
auch bei Frau von Malzaü zu veraucteiiki und
das Interesse, das )sie; ofGsibar füf bIsii. em-
pfand, sofort ansiübeuten« Man gewinnt zwao
das Herz einer Frau viellefdit eher dcm^
ein Bodübon^ das man ihr in einem dtnn«
mungsvoUen AugenMiöke anbietet, ioder^ in-»
dem man sich bückt ^ um ^ den. Uand^chüriv
ajdfzuhebeny .den sie fallcsiiiesa, als dadurch,
äass man ihre Ansichten. diberdkiMdsSc
the^ü. . Aber es schien ihm, -ddss. ein; aaeh
Bodi i so kleiner* Gegensatz [ zitdächenJ MaaS
tmd Frau dem Liebhaber nur fÖrderli)Qh <^civ
k^ne, und umsoreher, wienn d^r Liel^iiüber
ein ^nialer Kt^nätler ui^d dei' Manoodbrdicker
Rentier wäre.: Während iCr ^ichhdäh^liietocm
Leonie auf den Stuhl setzte, den ihr Mann feishei".
eingenommen hatte, i erschien ihm dies! wie
- n —
eia symbolischer Akt der Entdironüng des^
selben. .
][^eonie ^iitschujd^te ihren Manii, dem die
Musik gkichgil% sei und der daher gewiss nicht
geahnt habe, wie verletzend es für Jeden iein
mü^se, dem jene Her^ensaaiohe sei und noch
mehr für e^^ Kün$tler^ der nicht bldss den
Meister verehre, wie sie uöd tosend Andere,
sondern auf d^ivseiben W^e« wandle wid dieser
UJ^dsphonj^t neben ihm genannt werde.
Schwappet dankte gevührt für den Antheil,
den sie aa seinem Stvebeti nehme, und trug
dann ^mit vielem Ausdrucke ein Adagio über
die Verei]3saQ}ving 4es Genitis vor und wie es
seit je^r #dle Frauen, gewesen sekn, die dieses
in seiner Verl^ssf^heit ausrichtet hätten! In
m^9^h)^r traben Stua^^ sc^losfi ei*, habe ihi^die
Verzw^Sung so übermaünt^ dass er au£dxe
Kunst ver^cht^ wollte, wieil er nidbt länger das
Marty^m,^<las sie auferlege, . tragen.au kÖhÄen
v^meiiptte.. D^ .habe er den Blick eU dem
Bilde des ^(^t^ßB erh^^ea und es sei ihm
gewesen, als hä^ d^isoiilde Aüg4 des £hü*
dfff§ '^ ihm, geruht und ihn erm)uthig£, aus-
zu,)iarfenf Und h^ule, da ler den Galopp «ös
— w —
seiher S3rmphoiiit gtspieh und sich erinnert
habe, was er gelitten, als er dieses Werk ge-
schahen, «da sei es^ ihtä gewesen, als hätt^ die
Muise länge äiren Bl^tk auf ^n gerichtet und
er habe gefühlt, daed er, so lange er in dieses
henrHche Auge sdien dürfte, nnmer wieder
den Muth zu neuem Schaffen ^de.
Die Muse erröthete bd dieser Anspiehing,
betrachtete sinnend äiren Fächer und begann,
als sei ihr in Folge des Nachdenkend einge^
fallen, wozu dieser bestimmt sei, sich mit ihm
Luft zuzuweheui. Dann s^ sie den Märtjo-er
an^ dessen Blick so schtnachtend über ihre
volleil Schultem hinglitt, dass das Neue, was
er in diesem AagettbUcke geschaffieti hätte,
gewiss nichts Andere« als 6ln Kuss gewesen
wäre. O Schwi^el, auch diesen Gedanken
hatten, wie alfe Deine anderen, sbhon Viele
vor Dir gehabt I Leonie hiek Schwappel
wirklich für unglücklich, und sie war ge*
schmeichelt durch die Liebe, die sie dem
Künstler einflöBste, etwas zu dem Unglücke
desselben beitragen zu können.
Indem sie ihr Bouqufet erhob und 'ffle iite-
zeinen Blumen darin mit Interesse betmchtete,
- 7S -
bemerkte sie, dass der grosse Künstler nicht
dauernd lieben könne, da die Kunst stets ihre
älteren Rechte auf das Herz desselben geltend
machen werde. Schwappel behaujptete das
Gegentheil, da die Liebe den Künstler zu
grossen Schöpfungen begeistere, und der Ton,
in dem er seine Aus^äiiiahdersetzungen vortrug,
war ein so bewegter, dass diese nichts Anderes
als eine logische Folge von Liebeserklärungen
waren.
„Wie", rief er, „die Liebe sollte den Künst-
ler nicht begeistern? Eine Zeile von der Hand
der Frau, die man verehrt, eine Schleife, die
sie getragen, eine Blume, die sie berührt hat,
vermag es!"
Und dabei streckte er die Hand wie flehfend
nach dem Boiiquet Leoniens aus. Doch ihr
war offenbar diese Bewegung entgangen, denn
sie verrieth nicht die geringste Unruhe, sie
lächelte vielmehr unbefangen und sagte:
„Ich glaube aber in der That, dass es
Frau Blum gelungen ist, meinen Gemal für
die alte Kunst zu begeistern, denn er scheint
gar nicht mehr zu mir zurückkehren zu
wollen."
- 76 -
Sie erhob sich bei diesen Worten vom Stuhle
und' machte einige Schritte, als wollte sie den
Säumigen aufsuchen. Auch Schwappel erhob
sich zögernd, denn es gibt nichts, was einen
Verliebten mehr zu verblüffen vermag, als
wenn ihn die Geliebte, nachdem sie eine län-
gere Liebeserklärung angehört, plötzlich ruhig
fragt: Wie befinden Sie sich? oder durch eine
ähnUche Redewendung den schönen Gleich-
muth ihrer Seele zu erkennen gibt. Glück-
licher Weise wurde Schwappel aus seiner Un-
schlügsigkeit erlöst, denn in diesem Augen-
blicke kamen Frau Blum mit Herrn von Malzau
und die Majorswittwe mit Goklschein heran.
„Denken Sie", rief Frau Blum, „Ihr Ty-
rann will Sie uns durchaus schon vor dem
Souper entführen; es ist das ein Beweis, dass
sich sein Kunstsinn zu entwickeln beginnt,
denn er hajtte kaum die Nacht von Michel
r
Angelo angesehen und begann schon zu
gähnen, als wenn es vier Uhr Morgens gewesen
wäre. Wie schade, dass ich ihm nicht das
Abendmahl von Lionardo gezeigt habe, denn
er hätte dann gewiss die Sebnst^cht empfun-
den, ebenfalls zu soupiren."
— 77 —
Alle lachten und Herr von Malzau am
lautesten. Er stellte dann semer Frau Gold-
schein vor und sich zu Schwappel wendend,
sprach er die Hoffnung aus, beide Freunde
nächstens bei sich zu sehen, worauf Leonie
erklärte, es würde sie sehr freuen, beide
Herren bei sich empfangen zu können. Gold-
schein führte die Major swittwe zu Tische, Frau
Blum geleitete das Ehepaar Malzau, Schwap-
pel aber blieb^'im Konzertsaal allein zurück.
Als Leonie im Begrifife war, den Saal zu ver-
lassen, da fiel die grösste und schönste Sca-
biose aus ihrem Bouquet. Hatte sie die arme
Blume in der Zerstreutheit aus dem Strausse
gepflückt? wir wissen es nicht. An der
Schwelle blickte Leonie in den Spiegel, um
eine Falte ihres Kleides glatt zu streichen.
Da sah sie im Hintergrunde einen bleichen
Mann- stehen, der mit leidenschaftlicher Er-
regung eine Blume an seine Lippen presste.
*>♦*-
V.
:0NiE war am nächsten Morgen mit
einem Lächeln aufgewacht. Sie war
mit der Erinnerung, dass Schwappel
sie seine Muse genannt hatte, eingeschlafen,
und da sie als Mädchen wiederholt eine her-
vorragende Rolle in lebenden Bildern gespielt
hatte, die sich, wie man weiss, seit einiger
2^t in den Salons eingebürgert haben, war
ihr ein solches im Traume erschienen. Sie
sah nämlich eine Frau von wunderbarer
Schönheit in antiker, faltenreicher Gewan-
dung, zu deren Füssen ein idealer Jüngling
ruhte, der kummer\'oll in die Saiten einer
goldenen Lyra griff und zu der hehren Frauen-
gestalt aufblickte, die einen Lorbeerkranz
— 79 —
wand, aber so unbefang^a, als wüs$te sie
nicht, was an ihrem Piedes^l vorgehe und als
würde sie jenes Gewinde „auf Lager" arbeiten.
Das ideale Wdb sah Leonien zum Sprechen
ähnlich und selbst der Traum hatte an ihrer
Gestalt nichts zu ändern gefunden. Der gepei-
nigte Jüngling jedoch trug wohl die Züge von
Scbwj^pel, hatte aber eine edler geschnittene
Nase als dieser, auch war das Oval seines
Gesichtes weit regelmässiger, ferner hatte er
auf der linken Seite des Kinnes keine Warze
wie der dämonische Virtuose und endlich waren
seine Hände nicht durch das Klavierspielen ent-
stellt, wie jene SchwappeJ's. Leonie besichtigte
das Lächehi, mit dem sie die Augen geöffnet
hatte, im Spiegel und da sie. nichts daran aus-
zusetzen £and, behielt sie es bis zum Frühstücke
bei, wo die rauhe Wijrklichkeit, die sich bereits
mit Thee und kaltem Fleische, gestärkt hatte,
miteine^: „Guten Morgen, Weibchen!" alle
ihre Traun^esichte verscheuchte*
„Nun, ich denke", s^e Herr von Malzau,
indem er mit prosaischer Behaglichkeit sich
im Stuhle räkelte,, „wir thun sehr gut daran,
dass wif so selten in Gesellschaft gehen,
— 8o —
denn gestern haben wir ddch igenug Lange-
weile ausgestanden."
„Es ist mif nicht aufgefallen, dass- wir
uns an anderen Aberideii viel besser unter-
halten haben. Allerdings bist Du etwas später
in's Bett gekommen als sonst — "
„Du wirst wohl auch recht froh gewesen
sein, liebes Kind, dass Du endlich schlafen
gehen konntest, denn ich rauchte noch eine
Cigarre und da die Thüre Ddnes Schlaf-
zimmers offen geblieben war, hörte ich 'Dich,
kaum zehn Minuten später, nachdem ich Dir
gute Nacht gesagt hatte, schnarchen."
Leonie würdigte eine solche Verleumdung
keiner Antwort, sie nahm das neueste Heft
einer Modenzeituiig in die Hand trtid nach
und nach ging ihr Unwille in einer leichten
Träumerei über die neuesten Forinen »der
Frühlingshüte unter. Und es war. wirklich die
höchste Zeit, an diese zu denken. Denn ^s
war heute der erste schöne FrühHhgstk^ Und
plötzlich drang durch die geschlossenen
Fenster das Sonnfenliöht hisirein; "so dass
Leonie, die Augen vor dem grelfeii Scheitle
schliessend, sich in d^n^Stuhl i;urü(iklehnte.
— 8i —
während ihr Mann, dem <fie FrÜhlingssonne"
wann machte, sich die Sdme wischte und
v^on seinem Stuhle erhob. Leonte dachte an
das plötzliche Hereindringen des Frühlings
während der E^bnichsscene swischen Sieg-
mund und Siegltnde in der „Walküre" und
deklamirte halblaut die Worte Sieglindens:
„Ha, wer ging, wer kam herein?"
Ihr Mann, der gegen das Fenster zuge-
schritten war, um das Schösschen in dem«
selben zu öfihen, glattbte, doss diese Frage
ihm gehe und erwiederte, indem er sich
umwandte:
„Ich will nur ein Bischen lüften, denn es
fäi^ an, sehr warm zu werden."
Leonie fuhr jedoch, ohne darauf zu
achten, fort:
Keiner ging —
Dodi Einer kam:
Siehe, der Lenz
Lacht in den Saal!
„Ach richtig", sagte Herr von Malzau,
der auf einen Stuhl gestiegen war, um die
VentiiatfonsTorrichtung aufzuschHessen, „das
ist ja die abscheuliche Scene, die mich immer
6
— 8i —
so empört, dass ich wünschte, der Mann käme
statt des FrüWings herein und prtigeke den
Liebhaber trotz seiner Tenorstimme ordent-
lich durch."
„Sieglindens Mann", rief Leonie, indem üie
unwillkürlich etwas wärmer gewofdeh war, „ist
ein Nichtswürdiger^ eii^ Tyrann, ein — — "
„Ach was, das redet sich diese zucht-
lose Frau Sieglinde nur ein. Wenn er ein
Tyrann gewesen wäre, so würde er sich als
solcher öfifenüich betragen^ denn die Personen
Wagner's scheuen ja sonst nicht die Oeffent-
lichkeit, und wenn der Herr Siegmund, um sich
als Ehebrecher zu legidmir^, dem Manne vor
dem ganzen Publikum Homer aufsetzt, braucht
auch der Mann kein Bedenken zu tragen,
seine Frau bei offener Scene zu misshandeln,
falls er ein ordentlicher Tyrann sein will."
„Muss denn ein Mann seine Frau schlagen
wie ein besoffener Proletarier, damit sie seine
Tyrannei unerträglich finde?" erwiederte Leo-
nie mit glänzenden Blicken und leise bebender
Stimme. „Der Blaubart hat ja auch seine
Frauen, der«i er überdrüssig war, nicht er-
schlagen, sondern sie zu Tode gekitzelt"
~ 83 -
^,HahahaI Ich bin ja selbst, wie Du
weiBst, sehr kitzlig und Du hast mir auch im
ersten Jahre unserer Ehe einmal drei Tage
keinen Kuss geben wollen, weil ich bei Nacht
plötzlich zu lachen anfing und zwar auä
keinem anderen Grunde, als weil mir Dein
langer Zopf zufällig unter die Achsel gekom-
men war."
Leonie hatte diesen empörenden Vorfall
nie vergessen und rief erregt:
„Wer wird eine Frau verurtheilen, die
sich in die Arme eines Mannes wirft, den sie
mit aller Glut liebt, während ihr Mann gleich-
giltig gegen sie ist, ihre Gefühle nicht versteht,
sie nicht achtet, und vielleicht verlacht I"
Und dabei erhob sie sich empört und
^g mit raschen Schritten aus dem Zimmer.
Ihr Mann sah ihr ein Bischen überrascht nach
und sagte dann kopfschüttelnd:
„Armes Weibchen, der Frühling regt sie
so auf, sie muss wieder anfangen, Ofher
Bitterwasser zu trinken."
Er öffnete hierauf die Thüre, durch die sich
Leonie entfernt hatte, zur Hälfte, um einen
stärkeren Luftzug herbeizufuhren, doch schloss
6*
- S4 -
er sie bald wieder behutsam, denn aus einem
entfernten Zimmer drangen die Töne eines
Pianos herein. Leonie hatte sich zum Klaviere
gesetzt, um die Empörung ihres Herzens zu
besänftigen und es kam ihr vor, dass ihr Spiel
nie seelenvoller gewesen sei. Wenn Schwappel
sie jetzt hätte hören können! Ob er wohl ahnte,
was sie litt? Ach, sie selbst war ja die Unglück«
liehe Sieglinde, die sich nach wahrer Liebe
sehnte, nach der Liebe eines Mannes, der
nicht ein abgepresstes, vor dem Altare ge-
hauchtes Ja brutal ausbeutet, sondern der
kein anderes Recht auf die Geliebte hat, als
dass sein Herz bei ihrem Anblicke pocht,
dass seine Wangen glühen, wenn sie spricht,
dass er seufzt, wenn er ihrer gedenkt, dass
der Schlummer seine Augen flieht, wenn ihr
Bild vor ihm schwebt, dem aber, während
die Leidenschaft ihn verzehrt, die Ehrfurcht
vor ihrer Tugend die Lappen verschliesst,
und der nur unglücklich ist, grenzenlos un-
glücklich, bis die Geliebte, durch so viel Lei-
den gerührt, dem Dulder ihre Photographie
schenkt. Die Hände Leoniens glitten von
den Tasten auf ihren Schoss, sie sahSchwap-
— SS —
pel zu ihren Füssen knieen, seine weichen
Locken fielen auf ihre Hand, aber wie sie
»ch unwillkürlich niederbeugte, öfihete sich
ihr Schlafrock. Mit einem kleinen Schrei
sprang sie auf und kreuzte die Arme über
die Brust — doch sie lächelte bald über die
Lebhaftigkeit ihrer Hiantasie, denn sie hatte
wohl Schwappel gesehen, aber er nicht sie,
wenn er nicht vielleicht in diesem Augen-
blicke komponirte, und sie vor ihm schwebte,
aber nicht im Schlafrocke, sondern im hohen
geschlossenen Kldde der keuschen Muse.
Einige Tage nach dieser Vision erschie-
nt! Schwappel tmd Goldschein, um ihren Be-
such abzustatten. Herr von Malzau bewill-
kommte die Gäste mit grosser Herzlichkeit,
während Leonie die vorschriftsmässige Zu-
rückhaltung schöner Frauen an den Tag legte
und die beiden Freunde mit dem abgemessen-
sten Ceremoniel empfing. Sie erwiederte die
ehHurchtsvoUe Verbeugung Goldscheins und
die künstlerisch nachlässige SchwappePs mit
dnem müde herablassenden Neigen ihres
Hauptes, als hätte sie sagen wollen:
„Ich nehme Ihre Beglaubigungsschreiben
— 86 —
gerne entgegen und hoffe, dass die guten Be-
ziehungen, welche bisher zwischen meinem und
dem von Ihnen vertretenen Hofe geherrscht
haben, keine Störung erleiden werden."
Doch war die Unterhaltung bald, Dank
der Beredtsamkeit Goldscheins, eine ziemlich
lebhafte. Man sprach über den Frühling, die
Praterfahrten, das Reisen, dann über Italien,
die Peterskirche, Makkaroni und Blutrache.
Goldschein fiel nämlich ein, dass Schwappel
und er gerade vor zwei Jahren um dieselbe
Zeit in Corsica gewesen seien.
„Die arme Michelina", sagte er, sich zu
Schwappel hinneigend, mit etwas gedämpfter
Stimme; „sie that mir leid, aber Du durftest
Deine Abreise nicht länger verschieben."
Schwappel's Gesicht umdüsterte sich, und
er machte mit der Hand eine abwehrende
Bewegung, als bäte er seinen Freund,
nicht kaum vernarbte Wunden wieder aufzu-
reissen. Leonie wickelte den Zipfel ihres
Taschentuches mit nervöser Heftigkeit um
den Zeigefinger und fragte dann, ob in Cor-
sica noch immer die Blutrache geübt würde?
„Leider", erwiederte Goldschein, indem er
- 8r -
auf Schwappel einen bedeutungsvollen Blick
warf, „und ich würde Niemandem, der sich nicht
frei von jeder Schuld weiss", und er fixirte
neuerdings Schwappel, „empfehlen, sich darauf
zu verlassen, dass die Vendetta erloschen sei."
Leonie war überzeugt, dass Schwappel
die Frau eines vornehmen Corsen geliebt und
diesen im Duell getödtet habe, und in einer
schwachen Regung von Eifersucht erklärte
sie, 'dass sie die Blutrache für sehr gerecht-
fertigt halte. Ihr Mann hielt die Sitte für
barbarisch, da aber seine Frau dieselbe in
etwas gereiztem Tone vertheidigte und so-
wohl Goldschein wie Schwappel, jener aus
romantischen Gründen, dieser aber, um dem
Manne Leoniens zu widersprechen, ihr bei-
pflichteten, hielt er es für zweckmässig, dieses
blutige Gesprächsthema abzubrechen und
fragte Goldschein, ob in Ajaccio die Gas-
beleuchtung eingefüthrt sei? Goldschein be-
nützte diese Frage, um sich mit Herrn von
Malzau in ein Gespräch über technische Fort-
sclmtte der Gegenwart zu vertiefen und opferte
sich gerne für den Freund, um diesem Gelegen-
heit zu geben, mit Leonie unbemerkt zu plau-
— 88 —
dem. Diese sprachen noch eine kleine Weile
über Italien» Schwappel nannte Italien das
Land der Hofifnungslosigkeit; doch glauben
wir, dass er, wenn Leonie warum? gefragt
hätte, in ziemliche Verlegenheit gerathen wäre^
sein Urtheil zu begründen. Glücklicher Weise
aber hatte Leonie in Mailand eimnal drei Tage
vergebeös auf das Auftreten einer Opern-
Sängerin, die heiser geworden war, gewartet,
und so nickte sie zu seinem harten Urtheüe
zustimmend mit dem Kopfe.
„Es ist^S ^ubr er melancholisch lächelnd
fort, „eine Thorheit, die Verwirklichung seiner
Ideale in Italien zu suchen, es bedarf dazu
keiner Oliven- und Cypressenhaine, es genügt
vollständig der Stadtpark, in dem ich jetzt
täglich spazieren gehe, und so Mancher, der
dort an sein Ideal gedacht, hat es gefunden,
indem er den Blick erhob,"
Da Leoniens Fenster nach dem Stadtparke
gingen und Schwappel sie wiederholt an
demselben gesehen hatte und gewiss war,
von ihr bemerkt worden zu sein, so konnte
über das Ideal, das vom Parke aus bei
halbwegs günstiger Beleuchtung sichtbar war,
- «9 -
kein Zweifel sein, Leonie aber war natür-
licher Weise zu harmlos, um dies errathen
zu können. Sie meinte daher, sie finde es
begreiflich, dass man in einem schönen
Garten eher angeregt werde, zu kompo-
niren, als in dem traurigen Zimmer, und
fragte dann, ob er, seit sie ihn bei Frau Blum
gesehen, etwas komponirt habe? Er erwie-
derte, dass er nur ein kleines Lied geschrieben
habe: Die Erinnerung.
„Erinnerung, an wen? An Michelina ?^^
fragte Leonie mit grosser Sanftmuth.
Da wir nicht wissen, ob wir noch einmal
im Verlaufe dieser Erzählung Gelegenheit fin-
den werden, auf diese dunkle corsische Be-
gebenheit zurückzukommen, so wollen wir an
dieser Stelle verrathen, dass die erwähnte
Michelina ein altes Weib war, welchem in dem
Gasthofe in Bastia, wo Schwappel und Gold-
schein gewohnt hatten, die Reinigung gewisser
zwar heimlicher, aber dennoch stark benutzter
Appartements oblag, und dem Schwappel ein
paar alte Hemden zum Geschenke versprochen
hatte, ohne jedoch, da er plötzlich abreisen
musste, dieses Verspreclwn erfüllt zu haben.
— 90 —
Doch sind wir zu wenig in das Wesen der
Blutrache eingeweiht, nm ein Urtheil darüber
zu haben, ob Schwappel deshalb, wenn er
wieder nach Corsica gekommen wäre, die
Vendetta von Seite der nächsten Verwandten
Michelina's, wie Goldschein mit ziemlicher Be-
stimmtheit vorhin angedeutet hatte, zu be-
sorgen gehabt hätte.
„Ach nein",, antwortete Schwappel auf die
Frage Leoniens: An Michelina? „das Lied ist
an keine Frau gerichtet, nur an eine Blume."
„Sind Sie ein solcher Liebhaber von
Blumen?"
„Es handelt sich um eine Blume, die jetzt
schon welk ist, denn die Blumen gedeihen
nicht an einem pochenden Herzen!"
„Denken Sie aber auch nur an die schäd^
liehen Ausdünstungen, die sich dort ansam^
mein, und dabei ist für keine genügende
Ventilation gesorgt!" rief Herr von Malzau
gerade mit grossem Eifer, indem er Goldschein
erläuterte, dass bei der Bauart der meisten
Schulen die Gesundheit der Kinder sehr ge-
fährdet sei.
Schwappel biss sich in die Lippen und
— 91 —
warf dem Sprecher einen wüthenden Blick zu,
da er aber sah, dass Leonie in den Gedan-
ken an die Blume vertieft war, fuhr er fort:
„Glauben Sie, gnädige Frau, dass die
Dame, die jene Blume verloren hat, mir
gestatten wird, ihr das Lied an diese zu
widmen?"
„Ich glaube wohl, falls die Blume ein
Geheimniss für Alle bleibt, ausser für den
Komponisten und die Dame."
Eine Woche später wiederholten Schwap-
pel und Goldschein ihren Besuch und jener
überreichte Leonien ein elegant ausgestattetes
Notenheft, auf dessen Titelblatte sich die
Widmung: An Frau Leonie von Malzau, so-
wie eine Vignette befand, in der der Zeichner
einen jungen Mann abgebildet hatte, dessen
Kopf an Beethoven erinnerte, und der eine
Scabiose mit solcher Leidenschaftlichkeit
küsste, dass man den Küsser für einen Bota-
niker halten musste, dem die Freude über den
Besitz dieser henüchen Blume den Verstand
geraubt hatte.
t-*-
VI.
LDSCHEiN lag in seinem Arbeitszimmer
f einem grünseidenen Sofa ausge-
streckt und rauchte aus einem Nar-
gileh, das auf einem Tischchen neben ihm
stand. Er trug eben Schlafrock aus cttron-
gelbem, Hosen aus Rosa- und Schuhe aus
blauem Atlas, sowie ein kirschrothes Sammt-
barett, und machte durch diese glückliche
Zusammenstellung der Farben, sowie da-
durch, dass er von Zeit zu Zeit den Schlauch
des Nargileh aus dem Munde nahm und laut
zu kreischen begann, den Eindruck eines
Papageies. Er arbeitete nämlich gerade an
seiner Oper: Schwanhilde, und machte den
Versuch, einige Noten, die ihm eben ein-
— 93 —
gefallen waren, sich vorzusingen. Er hob bald
das rechte, bald das linke Bein in die Höhe
und sang dabei:
Wehe, welch' Wehgeschick!
Er zappelte, je länger er brütete, desto auf-
geregter mit den Beinen und jammerte immer
kläglicher die unheilvolle Stelle aus dem Opem-
texte dazu. Aber endlich hielt er erschöpft
inne und rief mit weinerlicher Stimme :
„In den Rosahosen fällt mir auch nichts
ein und Schwappel behauptete doch mit Be-
stimmtheit, der Meister habe dasselbe Rosa
zu seinen Atlashosen genommen, als er den
Trayermarsch in der „Götterdämmerung"
, komponirte. Ich bin heute schon zu erschöpft,
sonst würde ich die meergrünen Hosen an-
ziehen, in diesen war ich bis jetzt doch noch
am fruchtbarsten."
Er kniete auf das Sofa, über dem ein Oel-
porträt des Meisters mit Lorbeem umrahmt
hing, und nachdem er es eine Zeit lang weh-
müthig betrachtet hatte, seufzte er:
„Ach Gott, ich wäre schon zufrieden,
wenn ich auch nur deinen verfehlten „Rienzi"
geschrieben hätte ! " •
— 94 —
Dann sah er sich vorsichtig nach allen
Seiten um und flüsterte :
„Selbst die „Hugenotten" habe ich mir in
meiner Verzweiflung schon gewünscht kom-
ponirt zu haben!" Nach diesem kompromitti-
renden Geständnisse fasste er erschrocken mit
beiden Händen seinen. Kopf und wimmerte:
„Ich weiss nicht mehr, was ich rede, der
Ehrgeiz wird mich noch in's Unglück stürzen!
Was hat mich meine Schwanhüde schon für
Geld gekostet: zweitausend Gulden habe ich
für das Textbuch zahlen müssen! Sonst zahlt
man für ein Libretto immer nur tausend
Gulden, aber wenn man eines mit einer aus-
giebigen Alliteration haben will, lassen sich
die Dichter, diese Blutsauger, die Arbeit
doppelt bezahlen. Ebensoviel habe ich gewiss
inzwischen schon für Atlas verbraucht, um
meine blasirte Phantasie zu reizen. Und jedes-
mal, wenn ich Schwappel vorsinge, was ich
komponirt habe, und wenn es nur zwei Takte
sind, kann ich darauf schwören, dass er mich
eine halbe Stunde später anpumpen wird.
Ach Schwanhilde, für die Opfer, die ich für
deine Nebelgestalt gebracht habe, hätte
~ 95 -
ich mir schon die dickste Ballettänzerin
aushalten können! Aber wenn ich in dei^
meergrünen Hosen nicht glücklicher mit dir
bin, so fahre hin, ich will dann von kemer
ahdeutschen Jungfrau mehr etwas indssen und
wenn sie auch aus dem vornehmsten Sagen-
kreis herstammt! Und wenn ihr noch warm
von der Edda kommt tmd mit euren verfüh-
rerischsten Stabreimen, ihr falschen Sirenen,
so will ich mir alle Taschen zuhalten imd
mich von euch nicht mehr bestehlen lassen."
Er lief, das rothe Barett ganz im Nacken, ver-
zweifelt im Zimmer auf und ab, so dass er manch-
mal über seinen langen offenen Atlasschlafrock
stolperte und rief, die Hände ringend:
„Die Liebe macht auch nicht produktiv;
ich habe mich in die Majors wittwe verliebt,
aber was habe ich bis jetzt davon gehabt?
Nicht die geringste „R^verie" ist mir noch
eingefallen; ich habe mir sogar aus ihrem
Kleidj und gerade aus jenem Theil, wo es.
anfängt, von epopöischer Breite zu werden,
ein Paar Komponirhosen machen lassen, nicht
einmal ein klemes „Souvenir^^ habe ich darin
zu Stande gebracht» Sie hat ihr ausgeschult-
- 96 -
tenstes Kldd getragen und ich habe eine ge-
schlagene halbe Stunde neben ihr gesessen, so
nahe, als wenn ich, Gott soll mich bewahren,
angewachsen gewesen wäre, ich habe alles Mög-
liche wogen gesehen bei ihr, so dass ich mich
im Bett schlaflos herumgewälzt habe, und am
Morgen, wie ich aufgestanden bin, war nicht die
Spur von einer „Barcarole" bei mir zu finden.
Was ist dagegen Schwappel für ein Genie!
Guten Abend! hat ihm kaum diese Frau von
Malzau gesagt, und er hat schon eine Er-
innerung ohne Worte komponirt gehabt. Ich
glaube, wenn diese Frau von Malzau einen
Busen gehabt hätte so gross wie die Majors-
wittwe, er würde schon ein ganzes Oratorium
fertig gemacht haben. Wie oft habe ich mir
schon vorgenommen, ich will ihm nicht mehr so
viel Geld borgen, aber wenn ich ihn dann wieder
sehe mit seinem genialen Eindruck, fürchte ich
mich immer, er wird auf einmal unsterblich
werden, und dann werden sie in seine Biogra-
phie hineindrucken: Sein bester Freund, ein ge-
wisser Goldschein, hat ihm kein Geld geborgt.
Er hat mir sein heiliges Ehrenwort gegeben,
dass ich ein vielversprechendes Talent bin,
— 97 —
und ich habe ihm auch gleich dreihundert
Gulden auf dieses Ehrenwort geliehen, aber
ich weiss nicht, fällt den anderen vielver-
sprechenden Talenten auch nichts ein, oder
habe ich nur ein solches Unglück mit meinem
vielversprechenden Talent?
Da schreibt der Meister ein Buch gegen
das Judenthum in der Musik, als wenn man
sich in der Musik auch nur nach dem achten
Tage beschneiden zu lassen brauchte, um
darin ein grosser Jude zu werden. Die Schrift
hat mich aber doch so perplex gemacht, dass
ich mich losgesagt habe vom Alten Testament
mit seinem abgebrauchten Moses und dem
Josef in Egypten mit seiner veralteten Keusch-
heit und der Königin von Saba, die jetzt wie^
der Goldmark komponirt hat, und den Makka-
bäem, die Rubinstein ganz todt gemacht hat.
Ich faste nicht mehr am jüdischen Versöh-
nungstag, sondern mache nur die Fasten mit,
die der Meister vorgeschrieben hat, und seit
Jahren ist keine Melodie mehr über meine
Lippen gekommen. Ich bin jetzt urgermanisch,
als wenn Moses die Juden nicht durch das
rothe Meer, sondern durch den Teutoburger
7
- 9» -
Wald geführt hätte — aber noch keinen Accord
hab' ich aus dem ganzen Teutoburger Wald
herausgeschlagen. Und romantisch bin ich
geworden, dass sich Gott erbarmen soll. In
meinem Kopf gehen nur mehr Riesen mit
Keulen herum, und Zwerge mit Buckeln, die
grösser sind als sie, und die nutznixigen Rhein-
töchter und die Venus und eine ganze Me-
nagerie von Drachen und Schwänen und Wald-
vögelein und Pferden. Und gerade da, wo mir
die Phantasie nichts nützt, giebt sie mir keine
Ruh'. Neulich nach Tisch, ich habe an dem
Tag die Hosen aus dem Majorsatlas getragen,
spüre ich plötzlich ein Stechen, und auf einmal
zieh' ich eine Fischgräte aus der Hose heraus,
so dass ich erschrocken bin und geglaubt
habe, die Majorswittwe ist eine verwittwete
Seejungfrau und hat Flossen statt der Waden,
und wenn ich mich nicht noch zur rechten
Zeit erinnert hätte, dass ich Mittags einen
Hecht mit Sardellensauce gegessen hatte und
dass die Gräte vom Hecht herkommen wird
und nicht von der Majorin, den Tod hätte
ich vor Angst davon haben können/^
Goldschein setzte sich zu dem Schreib-
— 99 —
tische und nahm eine dicke weisse Atlas-
mappe in die Hand, auf welcher mit gol-
denen Buchstaben gestickt war: Schwanhilde.
Grosse romantische Oper in drei Akten von
Max Goldschein, öffiiete sie und starrte eine
Weile mit trübsinnigem Schweigen die leeren
Notenblätter an.
„Was für schöne Sachen könnten da
stehen I" seufzte er dann. „Wie gut würde sich
hier in der Ecke eine Klarinettestelle aus-
nehmen, was wäre nicht Alles möglich für
eine Oboe herzuschreiben und hier wäre
gerade noch ein Plätzchen für die grosse
Trommel und wenn das Publikum glauben
würde, es ist schon Alles überstanden, da
würden mit einem Mal die Violinen einfallen,
dass Alle hingerissen wären und riefen: Seit
Wagner ist etwas Derartiges in einem Or-
chester nicht gespielt worden. Und beim
Schluss des ersten Aktes wäre ein Geschrei:
Goldschein! Goldschein I und ich würde heraus-
kommen im schwarzen Frack zwischen dem
Tenoristen mit dem silbernen Helm und der
Schwanhüde mit dem weissen Schleppkleid,
und blass war' ich, wie das Tintenfass hier
7»
lOO —
und zittern würd' ich, als wenn nicht die
Schwanhilde, sondern ich, Gott soll midi
beschützen! von den Rossen sollte zertreten
werden. Und alle Lorgnons wären auf mich
gerichtet und die Damen würden sich aus
den Logen herausbeugen und klatschen und
die Eine würde sagen:
Ich hab^ mir ihn nach dieser Instrumen-
tirung viel grösser vorgestellt!
Und die Andere:
So hätte Carl Maria von Weber ausgesehen,
wenn er ein Jude gewesen wäre!
Und die Dritte:
Schade, dass man beim I^ampenlicht nicht
sehen kann, ob er Sommersprossen hat!
Und ich würde mich verbeugen und
immer wieder verbeugen, dass ich drei
Tage Kreuzschmerzen hätte. Um wie viel
lieber aber hätte ich die Kreuzschmerzen
von der Ehre als wie jetzt von den Hämor-
rhoiden. Und durch vier Wochen würde
man von nichts Anderem sprechen, als von
Schwanhilde und Goldschein und Goldschein
und Schwanhilde, und wenn ich auf der
— lol
Strasse ginge, würde Jeder stehen bleiben
und Einer dem Andern sagen:
Sehen Sie, dort geht der Goldschein.
Und Keiner würde fragen:
Welcher Goldschein?
Sondern Jeder würde wissen, wenn man
der Goldschein sagt, meint man nur den Gold-
schein, der die Schwanhilde komponirt hat."
Und Goldschein war ganz berauscht von
seinen Erfolgen, aber plötzlich ernüchterte er
sich wieder an den leeren Notenblättern und
rief weinerlich:
„Aber was hilft es mir, wenn meine Musik
noch so schön ist und sie mir nicht einfallt?"
Goldschein hing diesem traurigen Ge-
danken nach, als Schwappel und Straubinger
eintraten.
„Ach", sagte Schwappel, „ich sehe, wir
stören Dich, Du bist im Arbeitsgewande.
Nun, wie geht's mit Deiner Schwanhilde?
•Ist sie schon bei besserer Laune oder jam-
mert sie noch immer: Wehe, welch' Weh-
geschick!?"
„Schwappel, wühle nicht so grausam in
meinen Wimden! Seit ich die Idee gehabt
I02 —
habe, eine Schwanhilde zu komponiren, ist
mir die Stimmung zur Fortsetzung meiner Ar-
beit noch nicht wiedergekommen. Ich möchte
verzweifeln ! "
Der beste Wuotansänger sah ihn mitleidig
an und sagte dann:
„Ich hab' in Passau einen Freund gehabt,
den Schullehrer, der Trauermarsch' für
Leichenbegängnisse erster Klasse komponirt
hat, dem ist's gerad' so gegangen, wie Ihnen,
Herr Goldschein« Bei der schönsten Leich'
war er manchmal nicht in guter Stimmung.
Dem haben nur Bratwurst' geholfen. War er
nicht in der richtigen Stimmung, dann ist
er zum weissen Hahn gegangen und hat sich
zwei Paar Bratwurst' geben lassen und hat
ein paar Schoppen Bier dazu getrunken und
dann war ihm der ganze Trauermarsch nur
ein Spass, so dass ihm oft die Leut' nicht
g'schwind g'nug haben sterben können."
„Manchmal fürchte ich, dass es mit meiner
Stimmung überhaupt vorbei ist, ich habe ja
schon alles Mögliche versucht, sie wieder-
zubekommen und ich fürchte", und dabei
reichte Goldschein dem Wuotansänger schwer-
— I03 ~
müthig lächelnd die Hand „mir würden selbst
Bratwürste nicht mehr helfen."
„Du bist zu strenge gegen Dich", rief
Schwappel, „Du hast mir ja zu wiederholten
Malen einige Takte vorgesungen, die Ausser-
ordentliches erwarten Hessen. Warum schreibst
Du nicht wenigstens diese nieder?"
„Es sind unglücklicher Weise lauter Mo-
tive, die ich erst am Schlüsse der Oper an-
bringen kann, da Alles, was ich Dir bis jetzt
vorgesungen habe, immer nur das Wiehern
der Pferde, die Schwanhilde zu zertreten
haben, musikalisch ausdrücken sollte."
j,So schreibe doch den Schluss zuerst,
der Komponist ist ja an keine Ordnung ge-
bunden, fange mit dem Wiehern der Pferde
an und höre mit dem Wehgeschicke auf, wenn
es umgekehrt nicht gehen will."
„Du gibst mir neues Leben, Schwappeil
Du hast Recht, ich werde die Oper von rück-
wärts nach vorn komponiren", und dabei
klatschte Goldschein in die Hände und sprang
im Zimmer umher und wieherte einige Male
nach einander.
„Nun, da Du wieder vernünftig bist, lies
diese Einladung, die ich erhalten habe, sie
geht auch Dich an'^ und dabei warf Schwap-
pel einen Brief auf den Tisch.
Goldschein nahm den Brief, der an Schwap-
pel adressirt war, öffiiete ihn und las:
„Sehr geehrter Herr!
Ich würde es als einen neuen Beweis Ihrer
Liebenswürdigkeit ansehen, wenn Sie nächsten
Sonntag bei uns zu Mittag speisen wollten.
Wir übersiedeln nämlich schon in einigen
Tagen nach unserer Villa in Hietzing und das
kleine Diner gibt mir wie meinem Manne die
erwünschte Gelegenheit, einige unserer Be-
kannten vorher noch einmal zu sehen und zu
sprechen. Sie würden uns sehr verbinden,
wenn Sie auch Ihre Freunde, die Herren
Goldschein und Straubinger, mitbrächten,
deren Adresse mein Mann nicht wusste, so
dass ich nicht in der Lage bin, diese beiden
Herren brieflich einzuladen.
Leonie v. Malzau."
„P. S. Sie werden bei uns nur Verehrer
Ihres Genies finden, dessen jüngste Leistung
Sie mir gewidmet haben und die mich täglich
von Neuem entzückt. Es kompaen Frau Blum,
— loS — '
welche das Landhaus neben dem unsrigCfn in
Hietzing gemiethet hat und gleichzeitig mit
uns die Stadt lu verlassen vorhat, die Ma-
jorin, die, wie ich hoffe, namentlich Herr
Goldschein sich freuen wird, wiederzusehen,
und Herr Dr. R^user. L. v. M."
Goldschein gab Schwappe! denBrief zurück«
„Der Abschied, den sie von Dir nehmen
will, ist wohl gleichzeitig eine Aufforderung,
sie auch in Hietzing zu besuchen?"
„Ja wohl, damit ich meine stille Liebe,
fem von dem Geräusche der Stadt, in länd-
licher Zurückgezogenheit fortsetze."
„Nur nicht verzagt, Schwappel, auf dem
Lande wird Deine Sieglinde von ihrem Hun-
ding nicht so bewacht werden."
„Würden die Weiber so ehrlich lieben wie
Sieglinde, so wären alle Hundinge trotz ihrer
Wachsamkeit bald Hahnreie. Ich war seit
dem letzten Besuche, den wir gemeinschaft-
lich machten, noch einmal bei Leonie, aber
ihr Mann hatte gerade einen Anfall seiner
Ventilationsmanie und lüftete mich zur Thüre
hinaus. Ich aber bekam in Folge dieses Be-
suches einen Rheumatismus, so dass ich zwei
— io6 —
Tage nicht Klavier spielen konnte. Ich sagte
ihr wohl, dass ich jed^n Tag allein im Stadt-
parke spazieren ginge, und sie errieth nur zu
gut, dass ich ihr dort zu begegnen hoffte,
allein sie liess sich nicht herab, zu erschemen.
Und welche Langeweile habe ich dort ihret-
wegen ertragen! Ich kenne bereits jeden
Schwan, und die Störche stellen sich, wenn
sie mich sehen, höhnisch auf ein Bein, als
wollten sie mich Geduld lehren. O diese
Störche, die Geliebte haben sie nie im Schna-
bel, sondern nur die unangenehme Ueber-
raschung, die Einem diese manchmal bereitet!
Die Zeit wurde mir so lang, dass ich mir
sogar die Statue Schubert^s angesehen habe.
Ein dicker Spatz sass auf dem Notenblatte,
das der Bildhauer Schubert in der Hand halten
lässt, und sang daraus vor — ich sag' euch,
der Spatzengesang war der ganze Schubert'*
„Du hast heute wieder Deine infernalische
Laune", rief Goldschein laut lachend.
„Nur hin und wieder sehe ich die Ge-
liebte beim Fenster stehen, aber sobald ich
hinaufsehe, verschwindet sie. Und doch",
fuhr er mit dem Fusse stampfend fort.
— I07 —
„brauche ich ein neues Verhältnissl Die
Weiber müssen von unser Einem wissen,
dass er einem Ehemanne Homer aufsetzt,
damit sie sich für unsere Konzerte und Kom-
positionen interessiren und in jeder Note, die
man schreibt, Liebesrausch finden. Das packt
sie immer. Wäre es nicht für unseren Ruf unbe-
dingt nothwendig, ich hätte die Verhältnisse
mit verheirateten Frauen längst aufgegeben.
Denn entweder kommt man über den Anfang
niemals hinaus, wie dies jetzt mein Fall ist,
oder man ist gleich zu Ende. Ich weiss nicht,
was langweiliger ist."
Goldschein ergriff die Hand Schwappel's :
„Ich fürchte, lieber Freund, wir gehen einer
grossen Reaktion entgegen, die Weiber machen
mir den Eindruck, als wenn sie wieder an-
fangen wollten, höllisch keusch zu werden."
„Es scheint, dass Du mit Deiner „Helden-
Reizerin", um mit Wuotan zu sprechen, der
Majorswittwe, auch trübe Erfahrungen gemacht
hast."
„Helden-Reizerin? Ach^ bis jetzt habe
ich sie nur als Stimmungs-Reizerin betrachtet.
Uebrigens habe ich sie immer nur platonisch
— io8 —
geliebt, denn sie kommt meinem Ideal eines
Weibes am nächsten. Du weisst ja, dass ich
nur die herkulischen Weiber wahrhaft lieben
kann. Sowie Siegfiried's erste Liebe das Riesen-
weib Brünnhilde ist, so war ich als Jüngling zum
ersten Male in die beiden Doppelkaryatiden vor
dem Palais Pallavicini auf dem Josefsplatze ver-
liebt. O welche seligen Augenblicke habe ich
vor ihren riesigen Leibern zugebracht! Und
so romantisch war ich schon in meiner Jugend,
dass ich einstens in einer mondhellen Nacht,
da mich die vier Weiber mit ihren Riesen-
lippen wieder verfüljrerisch anlachten, einen
Bleistift herauszog und meinen Namen ihnen
auf den Leib schrieb, um so symbolisch von
ihnen Besitz zu ergreifen. Nein, ich mag nicht
diese Nippes -Weiber, die man zu zerbrechen
fürchten muss, wenn man sie umarmt.'^ Und
dabei streckte er seine dünnen Kinderarme
aus und ballte seine Fäustchen krampfhaft,
als wenn er in jedem derselben einen Mai-
käfer zerdrücken wollte.
„Wir haben ganz denselben Geschmack,
Herr Goldschein", bemerkte der beste Wuotan-
sänger, „ich mag auch nur die starken Weiber.
— I09 —
Ich hab* mich zwar niemals in eine Karyatide
verliebt und in Passau gibt es auch gar keine
solchen, aber meine erste Flamme war min-
destens zwanzig Pfund schwerer als ich."
Schwappel war inzwischen vor den Spiegel
getreten, denn er war mit Straubinger so rasch
von seiner Wohnung weggegangen, dass er
sich nicht mehr Zeit genommen hatte, seine
Toilette in Unordnung zu bringen. Nachdem
er sein Haar aufs Nothdürftigste zerzaust
und die Schleife seines Halstuches gelockert
hatte, sah er auf die Uhr.
„Himmel, ein Uhr schon und ich habe
der Gräfin Brzezienicki versprochen, um diese
Stunde bei ihr zu sein und mit ihr Liszt's
„Isolden^s Liebestod" vierhändig zu spielen.
Also mache Dich verführerisch für Sonntag,
lieber Max, damit Dir Deine verwittwete Ka-
ryatide nicht zu widerstehen vermag. Kom-
men Sie, Straubinger, Sie müssen mich be-
gleiten und mir auf dem Wege von Ihren
Liebesaventüren erzählen, aber", und dabei
drohte er dem besten Wuotansänger scherz-
haft mit dem Finger, „mit gewissenhafter An-
gabe des Gewichtes aller Ihrer Schönen,"
HO
Die Beiden drückten Goldschein die Hand,
als sie jedoch bei der Thüre angelangt waren,
Hess Schwappel Straubinger Vorangehen und
flüsterte mit Goldschein einige Worte, worauf
dieser eine grosse Banknote aus seiner Brief-
tasche nahm und, nachdem er noch -einen
jener schmerzerfüllten Blicke auf sie gerichtet
hatte, mit dem man einen theueren Angehö-
rigen anblickt, von dem ein trauriges Ge-
schick uns zwingt, für immer Abschied zu
nehmen, sie Schwappel in die Hand drückte.
VII.
Iachoem für Leonie kein Zweifel mehr
darüber bestehen konnte, dass Schwap-
pel sie leidenschaftlich liebe, fühlte sie
erst recht, wie wenig ihr Mann im Stande
sei, ein so edel empfindendes Wesen wie sie,
zu beglücken. Fast jeden Tag entdeckte sie
neue Fehler an diesem, die ihrem liebevollen
Auge früher entgangen waren. So war sie
erst jetzt darauf aufmerksam geworden, dass
er sehr streitsüchtig sei und jeden Anlass zu
einer kleinen Zänkerei benütze. Allerdings
übersah sie dabei, dass sie in neuester Zeit
jeder Ansicht, die er äusserte, mit grösserer
oder geringerer Sanftmuth widersprach, und
dass sie es war, die dabei in Hitze gerieth,
und nicht er. Freilich war dies nicht das
einzige Gebrechen, das ihr erst jetzt auffiel,
allein die Aufzählung des ganzen Sünden-
— n2 —
xegisters dürfte zu viel Zeit in Anspruch
nehmen, und wir begnügen uns daher, die
Vermuthung auszusprechen, dass alle diese
Schwächen aus einem leider unverbesser-
lichen Hauptfehler des Herrn von Malzau ent-
sprangen — dass er ihr Mann war.
Sie spielte das Lied, das ihr Schwappe! ge-
widmet hatte, alle Tage, so dass sie es bereits
auswendig wuBste und das Notenheft gar nicht
mehr nöthig hatte. Trotzdem nahm sie das-
selbe eines Tages, als sie einen sehr heftigen
Streit mit ihrem Manne gehabt hatte, zur
Hand, sie schlug es aber nicht auf, sondern
begnügte sich, den Umschlag eine Weile zu
betrachten, und endlich auf das Bild, das
sich auf dem letzteren befand, verstohlen
einen ganz schwachen Kuss zu drücken. Ob
sie aber das Bildniss Schwappeis aus Sehn-
sucht nach dem Original geküsst hatte, oder
nur, um sich für die Tyrannei ihres Mannes
zu rächen, wagen wir nicht zu entscheiden.
Die Ursache des Zankes war, dass sie ihre
Freiheit heldenmüthig vertheidigt und sich
geweigert hatte, sich von ihrem Manne in die
Verbannung schleppen zu lassen. Er war
— 113 —
nämlich endlich des Nichtstiiuns so über-
drüssig geworden, dass er ein grosses Gut
an der böhmischen Grenze gekauft und den
Beschluss gefasst hatte, einen Theil des Jah-
res dort zuzubringen, um die Bewirtschaf-
tung des Gutes und den Betrieb der Fabriken,
die sich dort befanden, zu leiten und zu
überwachen. Obwohl das Gut in einer sehr
fruchtbaren Gegend lag und sich auf dem-
selben ein mit allen Bequemlichkeiten aus-
gestattetes Schloss befand, und obgleich die
Eisenbahn daran vorüberzog und es so von
Wien in wenigen Stunden erreicht werden
konnte, hatte Leonie dennoch erklärt, sie
könne unmöglich die Entbehrungen und Stra-
pazen eines Aufenthaltes in so unwirthlicher
Gegend ertragen, und mehrere Krankheiten
genannt, die sie dort unfehlbar in der kür-
zesten Zeit hinwegrafifen würden, Ihr Mann
aber hatte, anstatt auf das Tiefste zu er-
schrecken, gelacht, und sie hatte, empört
über diese Gefühllosigkeit, das Zimmer ver-
lassen, und bevor sie sich ans Klavier setzte,
die schon erwähnte Prozedur mit dem Noten-
hefte vorgenommen.
8
— n4 —
Seitdem hatte ihr Mann mehrere Mak mit
grösserem Ernste seinen Wtmsch ausgespro-
chen, nach dem Gate abzureisen, nach(km sie
vorher einige Zeit auf ihrem Landhause in
Hietzing zugebracht hätten, und da Leonie auf
den verschiedenen Krankheiten, deren Opfer
sie dort werden würde, mit grosser Festigkeit
bestand, erklärte er, allein seiiren Aufent-
halt auf dem Gute nehmen zu wollen. Herr
von Malzau fühlte sich, seitdem er wieder
geschäftliche Sorgen hatte, wohler als je, und
dachte an nichts als die Verbesserungen, die
er auf dem Gute -einführen wollte. Jetzt sass
Leonie nicht mehr allein bei dem Frühstücke in
lieblichen Träumereien versunken, sondern
auch ihr Mann hing seinen holden Phantasieen
nach, sie dachte an ihren Schwappel und er
an seine Mastochsen in der GutsbrauereL
Er war daher nicht entzückt von der Gesell-
schaft, die Leonie zu dem Abschiedsdiner
geladen hatte, denn Rübenzucker und Spiritus
übten gegenwärtig einen grösseren Zauber auf
sein Gemüt aus, als bildende Kunst und Musik.
Leonie hatte sich für das Diner mit jener
ungesuchten Einfachheit gekleidet, die sich die
— iiS -
Modistinnen so theuer bezahlen lassen. Sie
trug ein Kleid von bescheidenem Musselin mit
alten Spitzen, eine Rose im Haare, und an
einem schmucklosen schwarzen Sammetbande,
welches das blendende Weiss ihres Halses
noch mehr hervorhob, hing ein Brillantkreuz,
das zu sagen schien: Wanderer, bete fiir den
Frieden deiner Seele, denn der hier unten ruht,
raubt dir ihn! Die Majorswittwe erschien in
einem blauen Kleide mit einem Kürass aus
schwarzer Seide und mit einem kleinen silber-
nen Pallasch im aufgewundenen Zopfe, während
Frau Blum, die am Arme des Doktor Brauser
ihren Einzug hielt, in der Weise der Bella di
Tiziano gekleidet war. Die drei Freunde hatten
ihre Orden im KnopHoche und nur der ge-
fUrchtete Kritiker begnügte sich mit einem
bescheidenen geistigen Schmucke, indem er
wie gewöhnlich ein Packet mit Büchern unter
dem Arme trug.
Herr von Malzau bestand darauf, dass der
beste Wuotanaänger neben ihm sitze, denn
er erschien ihm al3 der Einzige in der Ge-
sellschaft, mit dem sich ein vernünftiges Wort
werde sprechen lassen, da er voraussetzte,
8*
— ii6 —
dass dieser als Bayer sowohl wie auch als
Bassist ein grosses Interesse für die Bier-
brauerei bekunden werde. Schwappel, dem
man den Platz neben der Hausfrau angewie-
sen hatte, war so grausam, Leonie von seinem
Klavierspiele mit der Gräfin Brzezienicki zu
erzählen, und zeigte ihr einen kleinen Dolch,
den ihm dieselbe heute zum Geschenke ge-
macht hatte. Der Dolch sah zwar ziemlich
einfach aus, war aber eine kostbare Reliquie,
da durch eine Urkunde erwiesen werden
konnte, dass ihn eine Tante Kosciuszko's
nach dessen letzter unglücklichen Schlacht
stets im Strumpfbande getragen hatte.
Goldschein sass schweigsam neben der Ma-
jor swittwe, da er in seiner Composition von
rückwärts nach vorne eben daran war, ein
Abschiedslied in Musik zu setzen, das in
seiner Oper die Heldin Schwanhilde, bevor
sie von den Rossen zerstampft wurd, an den
Mond richtet, und sich hierzu durch eine ein-
gehende Betrachtung der entwickelten Formen
seiner Nachbarin zu inspiriren hofi^e. Frau
Blum aber theilte Doktor Brauser ihre geist-
vollen Ansichten über die Aufgabe der Musik-
— 117 —
kiitik mit, während dieser, wahrscheinlich, um
nicht in die Versuchung zu gerathen, den herr-
lichen Gedankengang der Rednerin durch seine
eigenen Bemerkungen zu unterbrechen, sich
den Mund mit grossen Stücken Lachs stopfte.
„Nun, was sitzen denn Sie so schweig-
sam, Herr Goldschein", sagte die Majorin,
„und sehen mich immer an, wie der Ritter
Toggenburg von Schiller sein Vis ä Vis, der
auch nichts gesprochen hat, bis es zu spät
war und er eines Morgens als Leiche dasass."
„Den Ritter hat nur die Grausamkeit der
Geliebten getödtet. O, alle Weiber sind
Hyänen!"
„Es ist mir nur ein Fall erinnerlich, in
dem die Weiber zu Hyänen werden, nämlich,
wenn in Schiller's „Glocke" eine Revolution
ausbricht, „Da werden Weiber zu Hyänen,
und treiben mit Entsetzen Scherz." Wenn
aber das Militär in den Kasernen konsignirt
ist, können sich ja die Völker gar nicht selbst
befreien, weil sonst das erste Glied Feuer
giebt, und wenn daher der Platzkommandant
nicht den Kopf verliert, haben die Weiber
auch keine Gelegenheit zu Hyänen zu werden."
— iiS —
„Wenn Sie eine Hyäne wären, Frau Ma-
jorin, wäre ich selig, von Ihnen zerrissen zu
werden!"
„O, das bilden Sie sich nur ein, lieber
Herr Goldschein, „der Wahn ist kürz, die
Reu' ist lang"," und dabei sah die Wittwe den
Hyänenfreund schmachtend an und seufzte.
Herr von Malzau befand sich in festlich
gehobener Stimmung, denn der beste Wuotan-
sänger hatte bereits den dritten Krug des
auf seinem Gute gebrauten Bieres getrunken.
„Zum Fische aber, Herr Straubinger",
sagte er jetzt, „sollten Sie doch Wein trinken",
und dabei nahm er selbst einen mächtigen
Schluck Bier, um zu zeigen, dass er mit seiner
Aufforderung, zum Weine überzugehen, nur
den Vorschriften der unerbittlichen Etikette
gefolgt sei, und nicht seiner inneren Ueber-
zeugung Ausdruck gegeben habe.
„Bier, Herr von Malzau, kann man zu
Allem trinken."
„Nur nicht zu Gurkensalat, das könnte
unangenehme Folgen haben."
„Daran ist aber nicht das Bier schuld,
sondern der Salat."
— n9 —
Herr von Malzau war görührt durch diesen
unerschütterlichen Grlauben an das Bier, der
selbst durch einen Gurkensalat nicht zum
Wanken gebracht werden konnte, und in
einer eddn AufwaUung, in der man jede
Rücksicht auf das eigene Wohl vergisst, rief er:
„Nun, dann müssen Sie uns nach Tische
etwas singen !^^
Schwappd schwärmte vom „Parsifal"
Wagner^s und Leönie hörte ihm nachdenklich
zti. Sie hatte nämlich entdeckt, dass Schwap-
pe! ein sehr starker Esser sei, und es war
ihr räthseihaflt, wie er dabei so interessant
auesehen konnte.
Frau Blum aber höfelte dem Doktor Brauser
mit solcher Ausdauer, dass dieser endlich ge-
zwungen war, das Wort zu ergreifen, um seine
Verdienste auf ähr wahres Mass zurückzu-
führen. Nachdem er einem Lammsbraten die
letzte Ehre erwiesen und sich zum dritten
Male von demselben hatte reichen lassen,
wischte er sich, zum Zeichen, dass er ein
trockenes wissenschaftliches Thema behan-
deln wolle, den Mund ab und rief mit lauter
Stimme, die zur Beendigung jeder Sonder-
130 —
(üskussion aufforderte und die allgemeine
Aufmerksamkeit in Anspruch nahm: Es sei
allerdings richtig, dass er das noch immer
fortwuchemde Unkraut der alten musikali-
schen Richtung mit unbarmherziger Hand
auszurotten bemüht sei, und möglicher Weise
seien wirklich viele Talente aus Furcht vor
seinen kritischen Dragonaden zur wahren
neuen Musik bekehrt worden, so wie umge-
kehrt die Protestanten zur Zeit Ludwig's des
Vierzehnten durch die Dragoner zum wahren
alten Glauben zurückgeführt worden seien.
Allein er verdanke doch seinen kleinen, aller-
dings sehr überschätzten Einfluss weniger der
Furcht, als der Einsicht in die Richtigkeit
seiner Methode. Denn er dürfe sich wohl
rühmen, die naturalistische Musikkritik in
Deutschland geschaffen zu haben.
Die Musikkritik müsse heute, wie jede
andere Wissenschaft, auf die Naturforschung
gegründet sein. Der Musikkritiker sollte Ana-
tom und Physiologe sein und ies sei für ihn
eben so wichtig, zu wissen, was ein Musiker
esse und trinke, als welcher Schule er ange-
höre. Wir seien durch Darwin auf die Zucht-
— m —
wohl aufmerksam gemacht worden, und wenn
ein Ejritiker eine ausgezeichnete Stimme höre,
so werde er zu erförsch^i haben, ob Vater und
Mutter nicht ebenfalls schon über hervor-
ragende Stimmmittel verfügt hätten. Seichte
Köpfe, Cyniker und schale Witzler hätten sich
darüber lustig gemacht, ab bekannt worden
sei, dass Richard Wagner Atlashöschen, sowie
Schlafröcke und Stiefelchen aus diesem Stoffe
trage, und die Farbe je nach der Art seiner
Komposition wechsle. Er aber behaupte, dass
wenn Wagner nie einen Reim gestabt und nie
eine Note geschrieben, sondern nichts Anderes
geleistet hätte, als durch sein Beispiel die
Wissenschaft auf den Einfluss des Atlas auf die
musUcalische Gestaltungskraft aufmerksam zu
machen, (Ees allein hingereicht haben würde,
seinem Namen die Unsterblichkeit zu sichern.
So viel sei gewiss, dass nunmehr der Atlas
jedem Komponisten unentbehrlich geworden
und ein noch verlässUcheres Reizmittel der
musikalischen Phantasie sei, als Kafifee, Thee
oder Tabak, ja dass vielleicht wenn die ge-
hörten Versuche angestellt würden, eine
Atlas^Narkose erzielt w^den könnte.
Er selbst sei dadurch zu Foirschungeaat^e-
regt worden, von denen er Resultate erhoffe,
die Wahrhaft umgestaHend wirken würden.
Er brenne siph wie Wagster zu dem Systeme
Schopenhauers und habe steh bei meinen
Untersuchungen strenge an das grundlegende
Werk dieses Philosophen: „Ueber die vier-
foche Wurzel des Satzes vom zureichenden
Grunde'^ gehalten. Er habe sich nämlich ge-
fragt, wie so der Atlas entgehe, und sei da-
bei auf die Seidenraupe gekommen, er habe
sich weiter gefragt, welcher Nsöirung diese
Raupe ihr Gespirnnt verdanke, und sei so
mit l^thwendig^it ai:^ den Maulbeerbaum
gerathen. Einmal so weit, habe er die fernere
FVage angeworfen: Wenn schon die Reibung
der Glieder mit dem Atlaagewebe und die
fortwährende Betrachtung desselben die Phan-
tasie de& Komponisten anrege, ob dies nicht
in noch weit höherem Grade der Fall sein
müsse, wenn der Komponist statt des Atlas
den letzten Grund desselben, den Maulbeer-
baum, auf sich wirken Hesse und sich mit Maul-
be^en nährte. Er werde sich auch, sobald die
Früchte des Maulbeerbaumes zu reifen bcgän-
— 123 —
nen, an das Konsenratoritim mit dem Ersacheü
wenden, ihm zwei oder drei talentvolle Zöglinge
zn überlassen, die et mit Maulbeeren emäbren
und gleich2seitig komponiren lassen wolle.
Aber das Beispiel des goüalen Meisters
habe ihn noch weker geführt Er selbst habe
nämlich bisher während des Schreibens seiner
Kritiken Flanellhemden getragen und sei da-
durch zu dem Schlüsse gelangt, dass Flanell
auf den Scharfsinn äusserst günstig wirken
müsse. Er gedenke nun, da schon die Reibung
mit Schafw'oUe sein kritisches Vermögen so
anrege, in Gemässheit seiner Theorie, immer
auf den letzten Grund zurückzugehen, im heu-
rigen Sommer, in welchem er sein Werft:
„Ueber die Wiederherstdhing des echten
Christenthums durch Wagner's Parsifal'* zu
schreiben vorhabe, einen Absud von EJee
während der Arbeit zu trinken, da Klee als
Schaffutter noch weit wöhhhätiger auf den
Scharfsinn einwirken müsse, als die blosse Rei-
bung mit der Wolle des Schafes, dem FlanelL
EHe Gesellschaft zollte dem grossen For-
scher und Kritiker die grösste Bewunderung
lukl Frau Blum war von dem Vortrage so
-- 124 —
begeistert, dass sie nut ihren keuschen Lippen
einen Weihekuss auf die Denkerstime des
Doktor Brauser drückte. Nur Herr von Malzau
und Straubinger schwiegen und hatten bei der
Mittheilung des Kritikers, dass er mit einem
Absude von Klee seinen Scharfsinn reizen
wolle, einander kopfschüttelnd angesehen,
denn es war ihnen wohl ein Absud von einer
Pflanze bekannt, der auf den menschlichen
Geist äusserst wohlthätig einwirkte, aber die
Pflanze war nicht Klee, sondern Hopfen. Die
Unterhaltung wurde, je mehr sich die Mahl-
zeit ihrem Ende näherte, immer lebhafter, die
Haltung ui^ezwungener, die Stimmen lauter.
Auch Leonie erhob ein wenig ihren Flüster-
ton. Sie hatte ein Glas mit Champagner in
die Hand genommen und indem sie sinn^id
die Perlen des Weines betrachtete, sprach
sie, gegen Schwappel vorgeneigt, mit grosser
Begeisterung von ihrem Landaufenthalte, so
dass man hätte glauben können, sie spreche
von emem sdllen, weltentrückten Dörfchen
und nicht von dem so nahen, lärmvollen und
vornehmen Hietzing. O, sie konnte es kaum
erwarten, von dem Zwange der Etikette be-
125
freit zu sein, die stillen Waldpfade zu wan-
deln, im Moose zu lagern und von entschwun-
denen Tagen zu träumen, dem Murmeln des
Baches, der zu ihren Füssen hingKtt, zu lau-
schen, unter unverdorbenen Menschen zu
weilen, den Gesang der Schnitterinnen^ die
Abends vom Felde heimkehrten, zu hören,
kurz, alle jene harmlosen Freuden zu gc*
messen, die auf dem Lande, leider aber ge^
rade nicht in Hietzing zu finden sind. Sie
nippte von dem Weine und sah Schwappel
an, ob er in ihrer Seele lesen könne, und er
verstand darin zu lesen. Denn auch er hatte
einst, wie er seufzend bemerkte, die Natur
geliebt, dort habe er immer Trost gegen den
Spott, Neid und die Missgunst der Menschen
gefunden, aber jetzt sei dies anders. Jetzt
erscheine ihm selbst die Stille der Natur ge-
räuschvoll, und er finde nur an einem Orte
noch die Ruhe, nach der er sich sehne —
im Grabe I Leönie war sehr ergriffen.
Nachdem man sich von der Tafel erhoben
hatte, wurde ein Bischen musizirt. Straubinger
sang, begleitet von Schwappel, aus „Sieg-
fried" den letzten Theil des Zwiegesprächs
— 126 —
Wuotan^s mit Erda und Herr von Mateau
rief zum Schlüsse den) verlässlichen Bier-
freunde so lärmende Bravo's zu, als wenn er
ihm die Lorbeers des besten Wuotansängers
hätte streitig madien wollen. Frau Blum
drang mm in Leonie und diese musste sich,
wie sehr sie sich auch sträubte, endlich an^s
Klavier setzen. Die Gesellschaft gruppirte
sich um sie, nur Goldschein zog sich mit der
Majoriu in eine Fensternische zurück. Er
hatte von den verschiedenen Weinen genippt
und dieise waren ihm so sehr zu Kopfe g^-
stiren, dass er die Wittwe aufforderte, sie
möge ihm einen Kuss geben. Diese ver-
weigerte jedoch eine solche Liebkosung, da,
wie sie anführte, schon SchiUer's „Kindes-
mörderin" durch eine ähnliche Nachgiebig-
keit, deren Folgen sie Anfangs unterschätzt
habe, in ihr Verderben gerathwi sei. Gold-
schein schwur bei der Ehre seiner Schwanhilde,
dass er ihr nie den Anlass auch nur zu dem
Mordis des kleinsten Kindes geben werde,
allein die Majonn schüttelte den Kopf und
indem. sie Goldschein beim Ohrläppchen fasste,
deklamirte sie mit tragischem Tone:
— 117 —
Weh! vom Ann dM falschen Maaii*« «mwunden,
Schlief Lmsens Tugend ein.
Goldschein aber rief weinerlich, die Tugend
sei ein Vorurtheü, dem die Liebe Trotz bieten
müsse, der Majorin aber fehle der Muth, zu
lieben, und indem er deren Hand fasste und
an seine Lippen zog, stöhnte er mehrere
Male : „Schwaches Weib I " Die Wittwe machte
sich sanft von ihm los und klatschte mit den
Anderen Beifall, da Leonie eben den Vor-
trag des ihr Ton Schwappel gewidmeten
Liedes beendet hatte. Dc^tor Brauser war
von ihrem Spiele entzückt und bewunderte
ihren glockenhellen Ton, namentlich aber den
Anschlag, den er noch kraftiger fand, als jenen
der Frau Clara Schumann. Es erschien ihm
dies bei den kleinen und zarten Händen der
Klavierspielerin als ein interessantes Räthsel
und als dem Begründer der naturalistischen
Kritik musste ihm eine nähere Prüfung des
Handgelenkes sowie der Armmuskeln Leo-
niens von höchstem Interesse erscheinen.
Leonie hatte einen zu prachtvollen Arm, als
dass sie nicht im Interesse der Wissenschaft
eine soldie Untersuchung hätte gestatten
128 —
sollen. In Frau Blum aber begann sich die
Eifersucht ein wenig zu regen, als sie sah,
wie gewissenhaft Doktor Brauser seine For-
schungen betrieb. Sie nahm daher die Ma-
jorin bei Seite und fragte diese:
„Finden Sie nicht, dass imsere liebe Freun-
din heute noch koketter ist, als gewöhnlich?"
Die Wittwe jedoch erwiederte lachend:
„Ich möchte nur wissen, welche Muskeln der
Doktor Brauser im Interesse der Wissenschaft
bei den Ballettänzerinnen untersucht, da diese
ja nicht auf den Händen zu tanzen pflegen?"
Leonie aber zahlte jetzt Schwappel sein
vierhändiges Klavierspiel mit der Gräfin Brze-
zienicki heim. Sie beobachtete ihn, der seinen
Zorn kaum zu bezwingen vermochte, ver-
stohlen und weidete sich an dessen Qual.
Herr von Malzau, der die Luft unerträglich
heiss fand, öffnete jetzt, nachdem er vorher
schon mittelst des Ventilationsapparates eine
Lüftung bewerkstelligt hatte, die Thüre, die
zum Balkon führte, und brannte sich seine
Cigarrette an, um dieselbe dort zu rauchen.
Er war kaum hinausgetreten, als Leonie, die
ihm mit den Blicken gefolgt war, einen Schrei
129 —
ittsstiess und angstvoll gegen die Mitte des
Saales hef. In demselben Augenblicke aber
stürzte sieh Schwappel auf sie, umfing sie mit
beiden Armen und presste krampfhaft ihren
ganzen Körper an den seinen. Leonie lag
bleich und regungslos an SchwappePs Brust,
ihre Augen waren geschlossen, er fühlte das
ungestüme Wogen ihres Busens und das
Klopfen ihres Herzens, sie athmete schneller,
er nkherte seine Lippen den ihrigen, die halb
geöffnet waren, so dass die glänzend weissen
Zähne hervorschimmerten, immer mehr und
liess sich von dem Wehen ihres Athems be-
rauschen, er knirschte mit den Zähnen, und
hätte die nicht, als sie seinen heissen sinn-
lichen Hauch fühlte, den Kopf zurückge-
bogen, er hätte nicht widerstehen können,
das schöne Weib in seinen Armen zu küssen.
Frau Blum war dem Doktor Brauser, der
gerade in eiii Gespräch mit Straubinger ver-
tieft War, kreischend um den Hals gefallen
und schnürte ihm mit ihi'en Händen fiast die
Kehle zu, so dass dieser um Hilfe schrie, da
er, an das traurige Schicksal des griechischen
Musikers Orpheus denkend, der von Bacchan-
9
— 130 —
tinnen zerrissen wurde, glaubte, seine Freua-
din habe ebenfalls bei Tische zu sehr dem
Bacchus geopfert und wolle ihn jetzt in einem
Anfalle von Liebeswahnsinn erdrosseln. Die
Majorin dagegen hatte alle Mühe, Goldscheiu,
der heftig zitterte und in die Kniee gesunken
war, auf den Beinen zu erhalten, indem sie
ihn unter den Armen fasste und so oft er zu-
sammenschnappte, in die Höhe zog.
Herr von Malzau verliess, da er den Lärm
hörtey den Balkon. Als er jedoch in das Zimmer
trat und die allgemeine Umarmung sah, ver-
blüffte ihn dieses merkwürdige Schauspiel, das
er sich nicht zu erklären vermochte, derart,
dass er zurücktrat und wie eingewurzelt an der
Schwelle stehen blieb. Leonie war inzwischen
zu sich gekommen, sie entwand sich den
Armen SchwappePs, sah ihren Mann vor-
wurfsvoll an und murmelte für sich : „Mörder!"
Frau Blum und die Majorin eilten auf sie zu,
umarmten sie und besahen deren Kleide in
dessen Schosse eine verkohlte Stelle sich be-
fand. Der starke Luftzug hatte nämlich einen
Funken von der Cigarrette, die Herr von
Malzau angebrannt hatte, auf das Kleid seiner
— 131 —
Frau getragen, so dass das feine Gewebe zu
glimmen begonnen hatte. Der Brand war
aber schon von selbst erloschen, als Schwap-
pe!, um ihn zu ersticken, Leonie umschlungen
hatte. Herr von Malzau erschrak heftig, dann
aber dankte er Schwappel und drückte ihm
gerührt die Hand.
Nachdem Leonie, die der Ruhe bedurfte,
zu Bette gebracht worden war, brach die Ge-
sellschaft auf. Goldschein hatten der Wein
und der Schreck so überwältigt, dass er,
nachdem er die Stütze der Majorin verloren
hatte ^ zu taumeln begann und zu Boden ge-
stürzt sein würde, wenn die Wittwe nicht
noch rechtzeitig herbeigeeilt wäre und den
Besinnungslosen in ihren Armen aufgefangen
hätte. Während sie ihn in diesen wie ein
kleines Kind zu einem Sofa trug, schlug er
die Augen wieder auf und als er die Wittwe
erkannte, lehnte er seinen Kopf an ihren
Busen und ächzte: „Schwa — ches Weib!"
Sie führte ihn behutsam die Treppe hinab,
aber unten angekommen, schlief er so fest,
dass er in den Wagen getragen werden musste.
Vffl.
IcHWAPPEL war am nächsten Tage eben
auf dem Wege zu Goldschein, als er
Idiesem begegnete. Sie gingen noch
eine Stunde im Stadtparke spazieren und be-
gaben sich dann zu Frau von Malzau, um
sich nach ihrem ßefinden zu erkundigen.
Während sie im Parke umherschlenderten, er-
klärte Schwappel, dass er sein bisheriges Zau-
dern Leonien gegenüber aufgeben wolle und
zum Angriffe überzugehen entschlossen sei.
Er habe, als er das reizende Weib gestern in
seinen Armen gehalten, geschworen, sie müsse
die Seine werden. Er sei ihrer Keuschheits-
komödie satt und nicht der Narr, auf die
nächste Umarmung zu warten, bis ihr Kleid
wieder in Brand gerathe, sondern ehe vier
Wochen vergingen, müsse die Liebe sie wieder
— 133 —
in seine Arme führen uöd sie solle dann ihrer-
seits den Brand löschen, der ihn zu verzehren
drohe.
Goldschein, der von seiner gestrigen Aus-
schweifung noch sehr bleich aussah, war
überaus kleinmüthig und beschwor Schwappel,
nicht gewaltsam vorzugehen. Leonie werde
ihm mit der Zeit gewiss entgegenkommen, er
möge seine Sinnlichkeit bekämpfen, und er
sprach von Gewissensbissen, die man sonst
empfinde und seufzte dabei in höchst kläg-
licher Weise. Er war nämlich gestern voll-
kommen trunken nach Hause gekommen und
als er Morgens aufwachte, erinnerte er sich
dunkel, in den Armen der Majorswittwe ge-
legen zu haben, und da ihm die Veranlassung
hierzu aus dem Gedächtnisse entschwunden
war, bildete er sich endlich ein, er habe die
Wittwe gestern verführt und der Katzenjam-
mer, den er empfand, sei nicht bloss ein phy-
sischer, sondern auch ein moralischer. Doch
war er, obwohl Schwappel ihm so offen seine
Liebespläne eröffnete, zu zartfühlend, um
diesem sein Glück oder richtiger sein Un-
glück auch nur anzudeuten. Schwappel sah
— 134 —
ihn, da er ihn so ungewöhnliche Maximen
aussprechen hörte, überrascht an und rief:
„Ich wollte, ich hielte schon bei den Ge-
wissensbissen, denn diese stellen sich ja doch
erst ein, wenn wir der Geliebten überdrüssig
geworden sind und das Mitleid, das wir mit
uns selbst empfinden, halten wir für eine Mah*
nung unseres Gewissens."
„Ach, der Gedanke, eine bisher ehrbare
Frau vom Wege der Pflicht abwendig gemacht
zu haben, ist schrecklich, glaube es mir."
„Zum Teufel, Du sprichst in einem Tone,
dass man glauben sollte. Du habest erst vor
einer Stunde eine die Chaussee der Pflicht
wandelnde Tugend beschädigt."
Goldschein schüttelte melancholisch den
Kopf und ging schweigsam neben dem
Freunde einher, der in seinen cynischen Aus-
einandersetzungen fortfuhr.
Herr von Malzau empfing die beiden
Freunde mit grosser Wärme und drückte
Schwappel nochmals den Dank für die Hufe,
die er seiner Frau geleistet hatte, aus: Leonie
befinde sich ganz wohl, nur ihre Nerven
seien noch etwas angegriffen und sie könne
- ,35 -
daher heute keine Besuche empfai^en. • Doch
werde sie wohl morgen so weit hergestellt
sein, um nach Hietzing übersiedeln zu können,
wo er die beiden Herren Öfter bei sich zu
sehen hoffe.
IX.
Ieonie hatte das Landhaus in Hietzlng
bezogen und genoss so die ländliche
Einsamkeit, nach der sie sich so sehr
gesehnt hatte. War sie dieser ein wenig über-
drüssig, so brauchte sie bloss vor die Thüre
oder in den nur einige Schritte von ihrer
Villa entfernten Schönbrunner Park zu gehen,
um das plötzliche Bedürfniss nach Equipagen,
eleganten Toiletten und Wiener Physiogno-
mieen augenblicklich befriedigen zu können.
Sie war übrigens auch nur durch eine kleine
Gartenthüre von Frau Blum getrennt, die hier
in der Zurückgezogenheit einige werthvolle
kunsthistorische Monographieen zu vollenden
gedachte. War Leonie allein, so ging sie in
ihrem schönen Ziergarten spazieren und
pflückte zur Verzweiflung ihres Gärtners die
— m —
schönsten Blumen in demselben, oder lag in
einem kleinen, ui]^r Bäumen versteckten Pa-
villon auf dem Soüa und las, schlief oder
dachte an Schwappel. Manchmal, namentlich
in der DämmeruQg, kam ihr sogar vor, als
ob sie die Liebe SchwappePs zu erwiedem
vermöchte. Sie spielte auch hin und wieder
die letzte Szene aus Wagner's „Siegfried" auf
dem Klaviere, in der dieser jugendliche Recke
durch die „wabernde Lohe" zu Brünhilden
vordringt und diese in wilder Leidenschaftlich*
keit umarmt. Denn auch Schwappel hatte sie
ja, als sie mitten in der wabernden Lohe ihres
Musselinkleides sich befand, die Gefahr nicht
achtend, ein anderer Siegfried, in seine Arme
gepresst, imd wenn auch die Anwesenheit von
Zeugen Schwappel hinderte, dabei so liebes-
brünstige Redensarten zu gebrauchen wie der
Drachentödter Siegfried, so hatte sie doch aus
dieser Umarmung ohne Worte niu: zu lebhaft ge-
fühlt, welche Gluth auch in seinen Adern tobte.
In jenen schönen Augenblicken, in denen
sie glaubte, dass sie Schwappel liebe, malte
sie sich wohl auch in ihrer Phantasie das Glück
aus, stets an seiner Seite zu leben, die Welt ver-
— 13« —
gessend und von ihr vergessen, ganz allein mit
ihm in einem stillen Erdenwinkel, anf einer
Insel, das rauschende Meer zu ihren Füssen,
über dem die schreienden Möven hinziehen,
während nur ein in der Feme wehendes Segel
davon Kimde giebt, dass noch andere Men-
schen auf dieser Erde leben. Man sagt, dass
Verliebte sehr häufig solche Wünsche haben,
aber diese phantasiereichen Leute vergessen
in der Regel, dass der Tag vierundzwanzig
Stunden hat, die auf einer einsamen Insel auch
nicht schneller vergehen als anderswo.
Man wird es hiemach begreiflich finden,
dass Leonie die Gesellschaft ihres Mannes
möglichst zu vermeiden suchte. Dieser stand
sehr zeitig Morgens auf, und da Leonie die-
sem Beispiele nicht folgte, fiühstückten sie
auch nicht gemeinschaftlich wie sonst. Beim
Mittagessen liess sich ihr Mann allerdings
nicht umgehen, aber sie suchte ihn dann
wenigstens zu mildem, indem sie nach der
Suppe in der Regel eine Zeitung zur Hand
nahm, deren Artäcel ihr Interesse jedesmal in
so hohem Grade fesselten, dass ein Psycho-
loge daraus möglicher Weise entnommen
— 139 —
hätte, sie lese dieselben gar nicht. Abends
pflegte ihr Maim gewöhnlich einen Spazier-
gang in den nahen Schönbrunner Garten zu
machen. Sie hatte am ersten Tage abgelehnt,
denselben zu begleiten, unter dem Vorwande,
sie vermöge sich dort nie der Angst zu er*
wehren, eines oder mehrere der wilden Thiere
der Menagerie könnten pl^ötzlich aus ihrem
Käfige entkommen, und dann die Besucher
des Gartens zerreissen. Als aber Frau Blum
Herrn von Malzau begleitete, um ihm die
Marmorstatuen Bayerns im Schlossparterre,
über die sie eine kleine Abhandlung zu
schreiben vorhatte, zu erläutern, und so
dessen noch schlummerndes Interesse für
Skulptur zu wecken, und sich bei ihrer Rück-
kehr mit grosser Befriedigung über den Ge-
schmack äusserte, den er bei Betrachtung
der Statue einer Nymphe an den Tag gelegt
hatte, entschloss sich Leonie, 2ur Aufrecht-
haltung ihrer Würde ihren Mann nicht mehr
in der alleinigen Gesellschaft der Frau Blum
Nymphenstatuen betrachten zu lassen, son-
dern von nun an diesen kunstwissenschaft-
lichen Spaziergängen beizuwohnen. Herr von
— I40 —
Malzau hatte wohl noch einige Male seine
Frau zu überreden versucht, ihren Aufenthalt
auf dem neuen Gute zu nehmen, allein Leonie
war es müde geworden, gegen solche ab-
geschmackte Vorschläge Gegengründe anzu-
bringen, sondern sie begnügte sich, sanft den
Kopf zu schütteln oder gar zu gähnen.
Schwappel war Anfangs Willens, Leonie
die ernste Wendung, die seine Leidenschaft
für sie genommen hatte, schriftlich zu erklä-
ren und sie so zu veranlassen, ihm zu ant-
worten und ein Dokument über ihre Gegen-
liebe in die Hand zu liefern. Er hatte sich
auch wiederholt an den Schreibtisch gesetzt
und alle ihm so geläufigen Tonarten einer
Liebeserklärung versucht: er schmollte, weinte
und flehte; er war rasend und zerschmolz;
er schwamm in Wonnen und brannte vor
Sehnsucht; er jauchzte und war verzagt: nur
sie war es, durch die er noch lebte, und sie
war schuld, wenn er vor der Zeit ins Grab
sank; er nannte sie demüthig „gnädige Frau!"
und siegesgewiss „meine Sieglinde!" Aber
er vernichtete alle diese Liebesbriefe wieder,
sobald er sie geschrieben hatte, denn er fand,
— 141 —
dass keiner derselben, und wenn er ihm auch
Anfangs noch so gelungen erschienen war,
den Zauber, den seine Persönlichkeit übte,
zu ersetzen vermochte. So fuhr er denn eines
Abends nach Hietzing, aber nicht in Beglei-
tung seines Freundes Goldschein, denn dieser
litt, seitdem er sich in dem Wahne befand,
die Majorin sei ein Opfer seines verhängniss-
vollen Sinnenrausches geworden, an einem
schleichenden Gewissensfieber. Er belästigte
Schwappel fortwährend mit Ermahnungen,
so dass dieser behauptete, die M^^'orin habe
dies verschuldet, indem sie ihm heimlich einen
platonischen Liebestrank beigebracht habe.
Da Herr von Malzau eben im Begriffe
war, mit seiner Frau und Frau. Blum den
gewohnten Spaziergang in den Schönbrunner
Garten zu unternehmen, als Schwappel seinen
Besuch machte, schloss sich dieser ihnen
an, und während Frau Blum mit Herrn von
Malzau, dessen Arm sie genommen hatte,
voranging, folgte er mit Leonie, neben der
er, während sie sich bemühte, unbefangen zu
plaudern, gesenkten Hauptes einherschritt
Die Sonne war im Untergehen, als sie durch
— i4a —
den langen schattigen Baumgang schritten,
der zum Parterre des Schlosses führt, von
den grünen Banrawäncleö rieselte das Gold
der letzten Sonnenstrahlen, der leise Abend-
wind, der sich erhoben hatte, verstreute die
Düfte, die er, über die Blumenbeete herrlicher
Gärten dahinziehend, gesammelt hatte, und
wie unter seinem Wehen das Laub zu flüstern
begann, flogen die Amseln auf und sangen
von den Baumw\pfeln mit heller Flötenstimme.
Die beiden Paare traten aus der Allee heraus
in das Parterre, das jetzt im Abendrothe da-
lag, denn das gleissende Sonnenlicht war
verglommen, und nur ein schmales weisses
Wolkenband, das in der Ferne flatterte, trug
noch einen goldig schimmernden Rand.
Durch die hohen Wölbungen der im Hinter-
grunde aufragenden Gloriette strömte die
rosige Fluth herein, die den weissen Marmor-
bildern in den grünen Baumnischen unten
Leben einhauchte. Es war, als ob die schöne
Helena endlich doch erröthete, dass sie sich
von dem Thunichtgut Paris entführen las^e;
man konnte glauben, Mucius Scävola habe
sich plötzlich entschlossen, die une:lückselige
— 143 —
Rechte, die er so lange über das kalte Kohlen-
becken gehalten, nunmehr wirklich zu braten,
denn man sah deutlich den Wiederschein der
Flamme in seinem Gesichte; und es drängte
sich Jedem die üeberzeugung aof, dass der
alte Anchises doch bedeutend schwerer sein
müsste, als leichtfertige Freunde des Alter-
thums in der Regel annehmen, da seinem
gewiss kräftigen Sohiie Aeneas schon bei dem
Versuche, ihn in die Höhe zu heben, das
Blut so in die Wangen stieg.
Gleich den anderen Marmorbildem war
auch Leonie rosig angehsucht, so dass es, da
sie gerade von ihren nur allzu herben Erfah-
rungen sprach, wirklich schien, als sei ihr
sanftfliessendes Blut in Wallung gerathen und
habe ihre schönen Wangen mit der lieblichen
Farbe der Erregtheit gefärbt. Ihr Mann war
mit Frau Blum bei dem Bassm am Fusse der
Terrasse, die zur Gloriette aufsteigt, ange-
langt, und sie waren hinangeschritten, um die
Tritonen und Seepferde, die sich im Hinter-
grunde des Bassins erheben, näher betrachten
zu können. Leonie und Schwappel waren
zurückgeblieben, und da dieser sah, dass sie
— 144 —
«
nicht beobachtet werden konnten, unterbrach
er plötzlich Leonie in ihrer Leidensgeschichte
und rief mit zitternder Stimme:
,^ch, theure Leonie, lassen Sie mich
Ihrem gequälten Herzen den Trost bieten,
den es bedarf! Sucheh Stö die Linderung
Ihrer Leiden an meiner Brust! Meine Liebe
soll Ihnen Ersatz bieten für die Täuschungen,
die Sie erfahren. Nein! nicht Ihretwegen
lieben Sie mich, nur um mich zu retten, er-
wiedem Sie endlich die Liebe, die mich er-
füllt hat vom ersten Augenblicke an, da ich
Sie gesehen, die mich so selig macht und
doch zur Verzweiflung treibt!"
Und dabei fasste er ihre Hand und drückte
mit wildem Ungestüme zahllose Küsse darauf,
die er nur unterbrach, um sie mit seinen
glühenden Augen zu verschlingen. Leonie
dachte in ihrer Ueberraschung nicht mehr
daran, dass sie noch vor einigen Stunden die
Liebe Schwappel's zu erwiedem glaubte, und
selbst die einsame Insel, nach der sie sich ge-
sehnt hatte, war in das Meer der Vergessenheit
gesunken. Sie war erschrocken Über die Leiden-
schaftlichkeit, mit der Schwappöl ihre Hand
— I4S —
küsste^ tmd ndch mehr darüber, dass er sie
meine Leom'e! genamit hatte. Meine Leonie!
nach so kurzer Bekanntschaft. Ach, sie hatte
sich in Schwappel getäuscht ! Sie ganz einfach
bei ihrem Vornamen zu nennen, war ein Vor-
recht, das sie ihm zu gewähren, sich für ihre
alten Tage aufgehoben hatte. Sie versuchte ihm
ihre Hand zu entziehen, aber er liess diese
nicht los, sondern küsste sie nur mit grösserer
Heftigkeit, und presste sie, in den Pausen,
wenn er nach Luft schnappte, an sein Herz.
„Ich darf Ihr Geständniss nicht hören", —
stammelte Leonie, „ich will versuchen zu
glauben, ich hätte es nicht vernommen, —
die 2^it wird Ihren Schmerz lindem."
Doch Schwappel wollte den günstigen
Augenblick ausnützen, er fasste sie um den
Leib und weiss der Himmel, welche kühne
That er gewagt hätte, wenn er nicht plötzlich
die schrille Stimme der Fr^u Blum, Leonie I
Leonie! rufen gehört hätte und die Urheberin
des Gekreisches, sowie das dicke Gesicht des
Herrn von Malzau hinter einem Seepferde
sichtbar geworden wären. Leonie machte
sich von Schwappel, der seine Liebeserklä-
10
— 146 —
rungen wiederholte und sie beschwor , ihm
ein Stelldichein zu gewähren, los und lief die
Terrasse hinan, so dass sie oben athemlos
ankam. Schwappel murmelte einige Worte
für sich, und da es zu den Pflichten des Elr-
zählers gehört, nichts zu verschweigen, was
für die BeurHieilung seiner Helden von Wich-
tigkeit ist, so müssen wir, wie unangenehm
uns auch diese Aufgabe gerade unter den
gegenwärtigen Umständen ist, doch mittheüen,
dass Schwappel nicht etwa eine jener
Hyperbeln für sich flüsterte, mit denen Verliebte
in den Augenblicken des höchsten Entzückens
die Angebetete begrüssen, und dass es auch
keine Ovation war, die er der Tugend Leoniens
darbrachte, sondern dass er sich leider hatte
hinreissen lassen, seiner verzweifelten Stim-
mung durch die Worte: Abgeschmackte Ko-
kette! Ausdruck zu geben. Als Frau ßlum
Leoniens ansichtig wurde, rief sie angstvoll:
„Um des Himmels Wülen beeüen Sie sich,
sonst beisst mich das Ungeheuer!^'
Nachdem sichLeonie zu ihrer Beruhigung
überzeugt hatte, dass kein Löwe oder Tiger
die Gitter seines Käfigs in der Menagerie
— 147 —
durchbrochen hatte, um sich hier der wieder^
gewonnenen Freiheit zu erfreuen uad ihre
Freundin zu zerfleischen, erkannte sie, das$
das Ungeheuer, das Frau Blum zu beissen
beabsichtige — ihr Mann sei. Dieser stand
nämlich hinter Frau Blum und war in einer
höchst verfönglichen Hantierung begriffen.
Denn während er mit der Rechten deren Leib
von rückwärts fest umsdüungen hielt, hatte
er mit der linken seinem unglücklichen
Opfer sein Spazierstöckchen m den Nacken
gesteckt, ah wenn er mit dem Senkblei ge-
naue Tiefmessungen vorzunehmen beabsichtigt
hätte. Da Leonie hieraus entnahm, dass ihr
Mann den Verstand verloren habe, begrüsste
sie diese Entdeckung mit einem Wehgeschrei.
Sie fand aber rasch ihre Geistesgegenwart
wieder, und da sie wusste, dass er in hohem
Grade kitzlig sei, und zwar namentlich unter
den Armen, umklammerte a^ ihn ebenflEms
von rückwärts mit beiden Armen, und begann
ihn mit ihren zarten Fingern in den Achsel-
1i6hlenzu kitzdn, um ihn so zu zwingen, seine
Beute fahren za lassen*
Allein diese Bemühungen, das Ungeheuer
IG*
zu bändigen, hatten gerade den' entgegea-
gesetzten Erfolg, denn kaum fühlte Herr von
Malzau den Kitzel, und gerade an den em-
pfindlichsten Stellen seines Körpers, so ge-
berdete er sich wie ein Besessener. Er brach
in ein krampfhaftes Gelächter aus, während sein
Leib sich in Zuckungen krümmte, und dabei
knickten seine Kniee fortwährend ein, so dass
Frau Blum, die er nicht losgelassen hatte, bei
jeder solchen Kniebewegung nach vorwärts,
gestossen wurde. Die Kunstfreundin, die sich
die Vorgänge hinter ihrem Rücken nicht zu er-
klären vermochte, schrie endlich, Herr von
Malzau möge solche unwürdige Spässe sein
lassen! Aber dieser hatte alle Herrschaft über
sich verloren, und in Folge einer convulsivi-
schen Bewegung seiner Hand, sttess er jetzt
das Spazierstöckchen, das er nicht losgelassen
hatte, so tief in den Rücken der Frau Blum
hinunter, dass sie das Gleichgewicht verlor. Da
sie sich jedoch während des Fallens an das Bein
ihres Quälers klammerte, während Herr Plunz,
der den Kitzel nicht länger zti ertragen ver-
mochte, mit seinen Oberarmen die zwischen
denselben befindlichen Hände Leoniens so
— 149 —
pressCe, dass sie sich nicht zu rühren ver-
mochte, stürzten alle Drei übereinander zu
Boden.
Schwappel, der ergrimmt über seinen
ersten Misserfolg bei dem Bassin zurück-
geblieben war und dort wüthend dem lust^en
Treiben der Fische zusah, hörte jetzt das
Geschrei, das die beiden Frauen ausstiessen,
als sie fielen, und weidete sich, die Terrasse
hinansteigend, an dem Schauspiele, das
sich ihm bot. Am Unglücksorte angelangt,
richtete er erst Leonie auf, nachdem er vorher
die Unordnung, in die ihre Toilette gerathen
war, ziendlich umständlich beseitigt hatte.
Dann half er ihrem Manne auf die Beine, und
ixd Vereine mit diesem fasste er Frau Blum,
deren Leib in Folge des Spazierstockes in
ihrem Rücken unbeweglich war, und die da-
her nur mit grosser Vorsicht aufgehoben
werden konnte. Leonie kam ihrer Freundin zu
Hilfe und zog mit Anwendung aller ihrer Kraft
den Stock aus dem Kleide, wobei gleichzeitig
ein Regenwurm herausgeschleudert wurde, der
an dieser verhängnissvollen Szene die Schuld
trug. Denn während Frau Blum Herrn von
1
r
— iSo —
Malzau die äsüietische Berechtigimg der Fisch-»
schwänze bei den Tritonen zu erklären versucht
und sich dabei vorgebeugt hatte, war ihr du
Thier in den Rücken geschlüpft, das nach ihrer
Behauptung nur eine Natter sein konnte und
von der sie auf äir Verlangen Herr von
Malzau mit dem sübemen Hakengriffe seines
Spazierstookes befreien wollte, da kein weibli-
ches Wesen zugegen war, um sie aufeuschnüren.
Herr von Malzau erlaubte sich einige
hämische Angriffe auf äkf beiden Frauen,
deren überreizte Phantasie schon neulich nach
dem Diner und heute wieder zu so lächer-
lichen Verwirrungen Anlass gegeben habe.
£r behauptete, die Frauen würden durch die
Texte Richard Wagner's ebenso verrückt ge-
macht, wie der Ritter von la Mancha durch
das Lesen von Rittergeschichten, ja er ging
in seinem Mangel an Zartgefühl so weit, seine
Frau sowohl wie Frau Blum die beiden weib-
lichen Don Quixote zu nennen. Frau Blum
benützte diesen Anlass, um ihre|Bewunderung
für die Zeichnungen Dorö's zum Don Quixote
Ausdruck zu geben. Leonie aber erschien in
Folge dieser Misshandlung von Seite ihres
— i5i —
Mannes das Vergehen Schwappel's in einem
milderen Lichte, und obwohl sie ihn beim
Abschiede vorwurlsvolt anblickte, so crwiedcrte
sie doch, wenn auch kaum wahrnehmbar,
den Druck seiner heissenHand.
X.
jliE Majorswittwe hatte in einer der
Seitenstrassen der Vorstadt Mariahilf,
und zwar in der Nähe der grossen
Kaserne daselbst, im zweiten Stockwerke eines
sauberen und freundlichen Hauses, ihr Haupt-
quartier aufgeschlagen, wie sie ihre kleine Woh-
nung nannte. Dies bestand aus zwei Zimmern
und einer Küche, sowie einem kleinen Zimmer
für die Dienerschaft, nämlich für die Köchin,
Kammerjungfer und Gesellschafterin, welche
drei Aemter jedoch von der Wittwe eines
Feldwebels versehen wurden und die daher
die Majorin ihren Generaladjutanten nannte.
Die beiden Zimmer der Majorin hatten ein
entschieden militärisches Gepräge. Ueber
ihrem Bette im Schlafzimmer befanden sich
zwei grosse Lithographien. Die eine stellte
- i53 -
die Vorderansicht der Militärakademie in Wiener
Neustadt dar, sowie das bewegte Treiben
vor derselben, nämlich zwei Lieutenants, von
denen der eine mit jener Urbanität, die den
Grossstädter verräth, den anderen um Feuer
für seine Cigarre ersuchte, sodann einen Ein-
geborenen, der einen grossen, von Ueberfluss
zeugenden Koffer auf einem Schiebkarren
führte, und in der Ferne eine dahinjagende
Equipage, deren Vornehmheit das glänzende
gesellschaftliche Leben Neustadts errathen
liess. Die zweite Lithpgraphie bot dem pietät-
vollen Beschauer die rückwärtige Ansicht der
Militärakademie, die allerdings durch ihre weit
bescheidenere Architektur den Blick nicht in
gleicher Weise zu fesseln vermochte, wie die
vordere Ansicht, dagegen aber durch die
Ruhe, die hier die ländliche Gegend athmete,
sowie durch zwei aufstrebende Akazienbäume
einen unwiderstehlichen Zauber auf das Ge-
müth übte. Die lebenden Wesen waren hier
nur durch einen Hund repräsentirt, dessen un-
leugbare Intelligenz ein längeres nahes Zusam-
menleben mit einem höheren Stabsoffizier, dem
er wahrscheinlich angehörte, deutlich venrieth.
— i54 —
Das zweite Zimmer, das Speise-, Arbeits- und
Besuchszimmer der Majorin, war braun tapeziert
und hatte blaue Möbel, so dass die Majorin,
da unsere Artilleristen ebenfalls mit braunen
Waffenröcken tapeziert und mit blauen Hosen
möblirt sind, das Zimmer kurzwep'das Arsenal
nannte. Der militärischen Ac^ustirung des 2^im-
mers entsprachen aber auch die kriegerischen
Vorgänge an den Wänden, auf denen die
Kriegsfurie förmlich herumkletterte. Die Land-
schaften, die man hier sah, waren ganz in
Pulverrauch gehüllt und kein anderes Grün
erfreute das Auge, als das der Federbüsche
unserer siegreichen Generale. Nur ein Major
mit einem Schnurrbart von ermüdender Länge,
der inmitten dieser blutigen Kämpfe sich be-
fand, hatte seine Gemütsruhe nicht verloren.
Keine Fiber zuckte in seinem Angesichte, ja,
seine Blicke verriethen mehr Befriedigung als
Aufregung und nur seine Nase war schwach
geröthet, aber auch daran trugen die Blitze,
welche die Feuerschlünde schleuderten, keine
Schuld. Es war ein Aquarellporträt des ver-
storbenen Mannes der Majorin, das in der
Mitte der Schlachtenbilder hing, das Werk
— i55 —
eines kunstshmigen Lieutenants sdnes. Regi-
ments. Auf dem Schreib- und Arbeitstische
beim Fenster standen auf der einen Seite die
sämmtUchen Werke Schiller' s in vaterlän-
dischem Nachdrucke, auf der anderen Seite
die hinterlassene Bibliothek des Majors: ein
Militärschematismus , ein Exerzierreglement
und der Schwanengesang eines der Infanterie
nur zu früh entrissenen Talentes: „Ueber die
Berittenmachung der Hauptleute," Zwischen
den Werken Schiller's und jenen kriegawissen-
schaftlichen stand ein Amor aus Chokolade,
dem jedoch in Folge . eines Versuches der
Majorin, zum Vesperbrod sauere Milch zu
nehmen, und da sie sich Nachts kein anderes
Stopfmittel zu verschaffen gewusst hatte, ein
Flügel fehlte. Ausser einer Schreibmappe
und einem Tintenfasse, das eine Kanone vor-
stellte, befand sich auf dem Tische nur noch
ein Arbeitskörbchen von sonderbarem Aus-
sehen. Obwohl aus demselben ein begonnener
Strumpf, Strickwolle, Nähnadeln u. s. w. hervor-
lugten, würde ein gelehrter Hutmacher dennoch
in dem Korbe einen alten Tschako des Majors
erkannt haben, von welchem der Schirm sowie
— i56 —
die militärischen Zierrätben entfernt worden
waren.
Am zweiten Tage nach dem Diner bei
Herrn von Malzau, das so tragisch geendet
hatte, sass die Majorin gegen zehn Uhr Vor-
mittags bei ihrem Arbeitstischchen und strickte.
Obgleich sie aufmerksam den Sttumpf betrach-
tete, der seiner Vollendung entgegen ging,
schien sie doch nicht an denselben zu denken,
da dieser, nachdem alle Schwierigkeiten über-
wunden waren, doch eher zu einer gehobenen
Stimmung seiner Urheberin Veranlassung
geben konnte, als zu einer elegischen, die
Majorin aber leise seufzte. Hin und wieder
warf sie auch einen verstohlenen Blick auf
das Porträt des Majors an der Wand. Aber
dieser sah heute wie sonst behaglich den
blutigen Schlachten zu, die rings um ihn ge-
schlagen wurden und ahnte wohl nicht den
schweren Kampf, der in dem Busen seiner
Wittwe entbrannt war. Die Majorin legte
eben den Strumpf bei Seite und stützte <^e
Wange in die Hand, als das Umdrehen eines
Schlüssels in der Wohnungsthüre hörbar;
wurde und bald darauf der Generaladjutant,
- i57 -
der auf den Markt gegangen war, um dort
Lebensmittel für das heutige Mittagessen zu
fouragiren, mit einem grossen Einkaufskorbe
hereinsprengte und diesen auf den Speisetisch
stellte. Dann nahm er zwei riesige Gurken
aus dem Korbe und reichte sie mit trium-
phirender Miene, als wenn er sie einer feind-
lichen Schwadron nach erbittertem Kampfe ab-
genommen hätte, der Majorin, welche diesel-
ben mit ungeheucheltem Interesse betrachtete.
„Rathen Sie einmal, Frau Majorin, wer
Ihnen die zwei Grenadiere schickt?" rief
die Köchin, indem sie die wettergebräun-
ten Arme in die Hüften stemmte imd dabei,
wie um die Auflösung des Räthsels zu er-
leichtem, den Mund wie zu einem Kusse zu-
spitzte. „Feuer! Feuer!** fuhr sie fort, als
die Majorin statt jeder Antwort die Gurken
wie Zwillinge an ihr Herz drückte.
,.Errathen, Frau Majorin, es ist der Herr
Goldschein. Jesus, er sieht selbst so grün
und gelb aus wie eine Gurke!**
„Er strengt wahrscheinlich**, lispelte die
Majorin, „mit der Oper, die er komp(mirt,
den Geist zu sehr an.**
— iS8 —
„Ach Gott, nem, Frau Majorin! Mein
Seliger hat auch, wie er noch im Monturs-
depot manipulirender Feldwebel war und den
ganzen Tag sitzen und schreiben und Fäust-
linge addiren und Matratzen multipliciren hat
müssen, seinen Geist zu sehr angestrengt, aber
im Gesicht hat man ihm nichts angemerkt.
Nur, wie es ihn immer mehr gejuckt und ge-
brannt hat und er endlich gar angefangen hat,
unschuldiges Blut zu vergiessen, bin ich mit
ihm zu unserem Oberarzt gegangen, der bei
mir hat waschen lassen, und dieser hat gleich
den richtigen Verdacht geschöpft und mich,
obwohl ich die rechtmässige Frau war, im
anderen Zimmer warten lassen. Und wie ich
wieder zurückgekommen bin, hat mein Seliger
die Hämorrhoiden gehabt, so dass wir Beide
dem Herrn Oberarzt für die gnädige Strafe
gedankt haben. Aber der Herr Goldschein ist
verliebt, Frau Majorin, und sieht nur aus im-
glücklicher Liebe wie eine Gurke aus."
Die Majorin hielt sich eine Gurke wie ein
Femrohr vor das Auge, aber sie wusste wohl,
dass diese nicht durchsichtig sei, sondern
wollte nur ihre Befangenheit in dieser unauf-
— i59 —
fälligen Wäse vor ihrem Greneraladjatanten
verbergen und fragte lachend:
„Woher weisst Da denn das Alles, Lisi?
Der Herr Goldschein sitzt doch nicht gar aus
unglücklicher Liebe auf dem Markt und ver-
theilt dort statt seiner Photographien Gurken,
die ihm ähnlich sehen ?^*
„Woher ich das Alles weiss? Ich habe
gerade die zwei Gurken angesehen, die mir
aufgefallen sind und gefragt, was sie kosten
und war darüber erschrocken, dass sie so
theuer waren. Da hat mir Einer von rück-
wärts auf die Schulter geklopft und wie ich
mich umgedreht habe, ist der Herr Gold-
schein, in seiner natürlichen Grösse, neunund-
fUnfzig Zoll hoch neben mir gestanden, weü
er mich im Vorbeigehen gesehen hat. Darauf
hab' ich gesagt: Jesus, Herr Goldschein, wie
Sie einen erschrecken! Aber er war ganz
traurig, sonst hätte ich lachen müssen, so ko-
mische Fragen hat er an mich gestellt: ob ich
seit zwei Tagen keine Veränderung an Ihnen
gemerkt habe? Und dann wieder: ob Sie sich,
wie Sie vom Diner bei Frau von Malzau nach
Hause gekommen sind, in^s Bett gelegt haben,
— i6o —
oder die ganze Nacht im ZimiAer heram-
gegangen sind mit aufgelöstem Haar und da-
bei die Hände gerungen haben? Und ob Sie
nicht verweinte Augen haben und nichts essen
wollen, oder manchmal plötzlich die Hände
vor's Gesicht halten und schluchzen? Ich habe
gesagt, dass ich bisher noch nicht gemerkt
habe , dass die Frau Majorin verrückt gewor-
den ist und dass Sie schlafen und Appetit
haben und dass wir heute eine Gans mit
Gurkensalat essen werden, auf die Sie sich
schon sehr freuen, dass aber die Gurken jetzt
noch sündhaft theuer sind. Gott sei Dank,
hat er gesagt, jetzt fällt mir ein Stein vom
Herzen. Darauf hat er die Gurken gekauft
und sie mir in den Korb gelegt und wie
Ich gesagt habe, die Frau Majorin würde
böse sein, dass ich das Geschenk annehme,
hat er gemeint, Gurken seien auch nur
Pflanzen und man könne sie daher ebenso
annehmen, wie andere Blumen, was ich auch
eingesehen habe. Dann hat er mich gebeten,
der Frau Majorin nichts zu erzähleti von
unserem Gespräche und mir zwei Gulden
— i6i —
geschenkt, damit ichmir dafür etwas kaufe, was
ich ihm auch versprochen habe und dann — ^^
„O, Du kennst nicht die Männer, Lisi!
Herr Goldschein glaubt, ich sei in ihn verliebt
imd er wäre stolz darauf, wenn eine einsam
dastehende Wittwe seinetwegen keine Lust
zum Essen und Schlafen hätte, aber er ist
deshalb doch kalt wie ein Kieselstein. Wenn
die Männer imglücklich verliebt sind, dann
schwimmen sie wie Leander zu ihrer Ge-
liebten so lange hinüber, bis sie einmal er-
trinken, oder sie quartieren sich doch we-
nigstens wie der Ritter Toggenburg vis ä vis
von der Geliebten ein imd sehen ihr immer
in die Wohnung hinein."
„Was, Frau Majorin, erwiederte der Ge-
neraladjutant gekränkt, „wenn man so lange
für die Herren Offiziere gewaschen hat wie
ich, da soll man die Männer nicht kennen?
O, wenn ich nur die Wäsche von einem Mann
sehe, dann weiss ich Alles, ob er massig ist
oder unmässig, ob er verliebt ist oder nicht,
ob er Courage hat oder sich fürchtet, und
wenn ich auch für den Herrn Goldschein nie-
mals gewaschen habe, so weiss ich doch
II
102
dass ^r unglücklich verliebt ist. Und in wen,
wird gewiss in dem Briefe stehen, d«i er mir
flyr die Frau Majörin gegeben hat", und dabei
zog sie einen Brief aus der Tasche und hielt
ihn triumphirend in die Höhe.
Die Majorin entriss mit einem kleinen
Entrechat, das einem Panther Ehre gemacht
hätte, dem GeneraladjutantendenBriefundrief :
„Jetzt erst gibst Du mir den Brief, wo jede
Minute so kostbar ist."
„Seien Sie ganz ruhig, Frau Majorin, er
wird sich inzwischen in keine Andere verliebt
haben. Doch ich muss endlich einmal in öie
Küche und daran denken, abzukochen, sonst
haben wir zum Mittagessen aus lauter Liebe
hartes Rindfleisch." Und damit verliess sie
das Zimmer. Nur bei der Thüre wandte sie
sich noch einmal um und führte, ohne von
der Majorin, die bereits im Lesen vertieft
war, bemerkt zu werden, dort eine Pantomime
auf, indem sie darstellte, wie sie mit einer
Flinte auf die Majorin anlegte imd ihr gerade
aufs Herz zielte.
Die Majorin las den Brief Anfangs nur
mit Staunen, das später in ein bedenkliches
— i63 —
Kopfschütteln überging, bis sie am Schlüsse
hocherfreut vom Stuhle aufeprang, den Brief
einige Male an ihre Lippen drückte und dann
im Walzerschritte durch das Zimmer hüpfte.
Der Brief aber lautete:
„Hehrstes, wonnigstes Weib!
Obwohl mich der Minnetraum, den ich
vor Kurzem in den Armen des seligsten
Weibes geträumt, zum Glücklichsten aller
Sterblichen gemacht hat, so passt diese letzte
Bezeichnung doch tiicht ganz auf mich. Denn
bei näherer Betrachtung bin ich gar nicht
glücklich, wenn ich an die kummervollen Stun-
den denke, die die blühende Brunst eines un-
überlegten Augenblickes dem schwachen Weibe
verursacht hat, der sich bisher scheu die Hel-
den neigten und xiie den Verftihrungskünsten
eines Trauten erlegen ist. Als ich aus dem
bewussten Traum erwachte, fragte ich mich
erschrocken: wo bin ich? Leider aber war
es, wie dies meistens nach so wonnigen Er-
eignissen der Fall zu sein pflegt, schon zu
spät. Das Bewusstsein aber, eine Lilie in
illegitimer Weise geknickt zu haben, erfüllt
mich mit Reue.
II*
— 164 —
O, könntest Du unparteiisch in mein Herz
sehen, Du würdest zugeben müssen, dass es
eine Parallele mit keinem auch noch so ge-
brochenen zu scheuen hat. Ich weiss wohl,
dass sowohl der Siegmund wie der Siegfried
Richard Wagner's in einer ähnlichen Lage
keine Gewissensbisse empfinden, aber ich sehe
immer mehr ein, dass ich kein Urgermane
bin, der sich nichts daraus macht, jetzt ein
geliebtes Weib unglücklich zu machen und
dann wieder einen alten Bekannten todt-
zuschlagen.
Doch ich will wenigstens nicht die Hände
müssig in den schuldigen Schoss legen, son*
dem sie Dir reichen zu einem Minnetraum
für's ganze Leben. Zürne mir daher nicht
länger, erhöre mein Flehen und werde mein
Weib. Indem ich im Geiste anbetend zu
Deinen Füssen niedersinke, bitte ich Dich,
mir noch heute zu antworten, dass Du meinen
Heiratsantrag annimmst, und verbleibe, so
lange ich Dein Jawort nicht schwarz auf weiss
vor mir habe
Dein unglücklicher Wehwalt
Max Goldschein."
i65
„Das Eine geht wenigstens aus dem Briefe
hervor", sagte die Majorswittwe, indem sie
sich zum Schreibtische setzte und ein Blatt
Briefpapier zurechdegte, sowie eine Feder
zur Hand nahm, „dass er mich unter allen
Umständen heiraten will. Von allem üebrigen,
von dem Minnetraum, den Verführungsktinsten,
der Lilie und der Reue verstehe ich eben so
wenig, wie ein Rekrut von einem Armee-
befehl. Der gute kleine Goldschein! Wahr-
scheinlich sind das lauter Anspielungen aus
Wagner'schen Opern und er glaubt, dass er
mir damit eine Freude macht. Es scheint,
dass er neulich, wie ihm der Wein zu Kopfe
gestiegen ist, bei Nacht von mir geträumt hat
und sich im Traum einige Freiheiten gegen
mich herausgenommen hat. Als ob man
nicht wüsste, dass die Männer keine Heiligen
sind! Und sie tauchte die Feder ein und
schrieb:
„Bester Herr Geldschein!
Ihren Brief mit dem für mich so schmei-
chelhaften Heiratsantrag, sowie die beiden
Gurken, die ebenfalls jetzt, wo die Saison für
dieselben noch nicht gekommen ist, eine sehr
— i66 —
zarte Aufmerksamkeit sind, habe ich durch
mieine Lisi erhalten. Wenn ich Sie auch vom
ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft an
immer für einen Mann mit reellen Absichten
gehalten habe, so hat mich Ihr Heirlatsantrag
doch in eine sehr grosse Aufregimg versetzt.
Mein Mann, der mir in früheren Zeiten immer
als treuer Rathgeber zur Seite stand, ist, wie
Sie wissen, leider todt und so habie ich Nie-
manden, den ich in einer so wichtigen An*
gelegenheit, wie diese ist, um Rath fragen
könnte.
Auch lag . mir aus leicht begreiflichen
Gründen das Militär immer näher als das
Civil und ich habe mich daher noch niemals
so recht mit dem Gedanken vertraut gemacht^
einen Civilisten zu heiraten, der für mich das
verschleierte Bild zu Sais ist, von dem man
nach unseres Schiller's Ballade nicht weiss,
was dahinter steckt. Ungeachtet dieser Zweifel
halte ich es für meine Pflicht, wenigstens das
Vertrauen, das Sie in mich gesetzt haben, zu
erwiiedern und bin daher so frei, von Ihrem
Heiratsantrag Gebrauch zu machen und Ihnen
mein herzliches Jawort, auf das Sie in Ihrem
— 167 —
Schreiben so ernstlich reflekdren, noch mit
der heutigen Post rekommandirt zuzusenden^
Ihre Mittheilung, dass Sie von mir in sehr
eingehender Weise geträumt haben, ist mir
zwar, da sie Anspielungen auf Opern von
Wagner enthält, die ich noch nicht gehört
habe, nicht ganz klar, doch will ich jetzt, da
ja doch keine Geheimnisse mehr zwischen
uns vorkommen sollen, nicht länger ver-
schweigen, dass ich schon vor ungefähr vier
Wochen auch einmal von Ihnen geträumt
habe und ich kann Ihnen nur zu Ihrem Lobe
nachsagen, dass Sie sich in meinem Traum
immer sehr anständig betragen und mir keinen
Grund zu irgend einer Beschwerde gegeben
haben.
Und nun, da ich für immer die Deine bin,
lebe wohll Ich baue nicht nur auf Dein
Wort, sondern auch auf jenes unseres mir
ebenfalls so theuren Schiller's:
Ich mag's und wilPs nicht glauben,
Dass mich der Max verlassen kann.
Näheres mündlich. Indem ich im Geiste
— i68 —
einen Verlobüngskuss auf Deine Lippen
drücke, von denen mich keine Macht der
Erde mehr reissen soll, verbleibe ich Deine
sehnsüchtige
Louise."
XL
lEONiE hatte nach ihrer letzten Be-
egnttng mit Schwappel eine schlaf-
lose Nacht gehabt, das heisst, sie war
um fünf Uhr Morgens aufgewacht, und nach-
dem sie sich einmal auf ihrem Lager sorgen-
voll umgedreht hatte, nach zehn Minuten
wieder eingeschlafen.
Sie sass in Folge ihrer Uebemächtigkeit
am nächsten Morgen länger als gewöhnlich
vor dem Spiegel, und nahm auch einige
Büchschen und Schälchen, die sich in einer
versperrten kleinen Lade desselben befanden,
mehr in Anspruch als sonst. So wie sich nach
jeder geregelten Thätigkeit die Ruhe wieder
einstellt, die wir verloren hatten, waren auch,
nachdem das Geschäft, das sie heute so wie
— 170 —
jeden Morgen vor den Spiegel führte, beendet
war, alle Spuren der Aufregung des Tages und
der Nacht vorher aus ihrem schönen An-
gesichte verschwunden, und selbst das Auge
der hässlichsten Frau hätte nicht mehr einige
rothe Fleckchen auf ihren Wangen, eine kleine
Abblätterung der Haut auf ihrem Kinne, so-
wie ein Fältchen von rührender Unbedeutend-
heit am unteren Augenlide wahrzunehmen ver-
mocht, die noch anderthalb Stunden vorher
als Folgen der ungewöhnlichen Aufregung
ihrer Seele dort zu sehen waren.
&st, nachdem sie ihre Toilette beendigt
hatte, gestattete sie Schwappel, ihrem Geiste
vorzuschweben. Sie fand, dass sie sein un-
überlegtes Benehmen gegen sie im Schön^
brunner Garten viel zu strenge beurüieüt habe.
Sie gab ihrem Manne gewbs nie Recht, aber
sie musste ihm fast beipflichten, dass ihre
Phantasie überreizt sei, wenn sie daran dachte,
wie sie in ihrer Ueberraschung die Gefahr,
die ihrer Tugend drohte, übertrieben hatte.
Was war denn das Verbrechen des armen
Schwappd? Dass er ihr eine Liebeserklärung
gemacht, ihre Hände geküsst, und den Ver-
— 171 —
such gemacht hatte, ihr einen Kuss zu rauben.
Aber war dies nicht Alles bei einer so leiden-
schaftlichen Natur zu entschuldigen? Sie war
ja viel geliebt wordai in ihrem Leben, aber
noch nie hatte die Liebe zu ihr dnem Manne
solche schmeichelhafte Seelenqualen bereitet
wie SchwappeL Und sie hatte nie etwas dazu
gethan, diese zu lindem, sie hatte ihm nie den
geringsten Trost gespendet, und ihn höchstens
errathen assen, dass ihr seine Person nicht
ganz gleichgiltig sei.
Ja, sein trauriges Loos ging ihr so nahe,
dass sie sich fragte, ob sie ihr Gewissen nicht
freisprechen würde, wenn sie sich, um ihn
vor der Verzweiflung zu retten, einen Kuss
hätte rauben lassen, und ihm nur dapn mit
aller Entschiedenheit diese unerhörte Dreistig-
keit verwiesen hätte. Leonie war entschlossen,
Schwappel, sobald sie ihn wieder sehen
würde, zwar nicht zu ermuthigen, aber ihm die
ganze Grossmuth, deren ein edles Weib fähig
ist, entgegen zu bringen, ein Programm, das
sie, so unbestimmt auch Manchem die Gren-
zen desselben erscheinen mög^n, vollkommen
befriedigte.
— 172 —
Am folgenden Tage fuhr Herr von Malzau
nach Tische in die Stadt, um noch einige
Vorkehrungen für seine Abreise zu treffen,
die auf den nächsten Morgen festgesetzt war.
Ehe er das Haus verliess, umarmte er seine
Frau, ungeachtet ihres Sträubens, sehr zärt-
lich und bemerkte halb scherzend, halb ernst,
er hoffe, sie würde noch in den letzten Tagen
ihren Eigensinn aa^ben und mit ihm reisen*
Leonie war entrüstet über die Zudringlichkeit
ihres Mannes und ihr kurzes und kaltes Lebe-
wohl bewies ihm, wie wenig eine Charakter-
feste Frau geneigt sei, einen Entschluss, den
sie so reiflich erwogen hatte, zu ändern.
Es war ein sehr schwüler Nachmittag und
Leonie fühlte sich so beklommen, dass sie sich
in den GartenpaviUon begab und auf das Sofa
legte, um auszuruhen und sich einem leichten
Nachsinnen zu überlassen. Sie seufzte tief
auf, allein ehe sie noch den zu dieser Tonart
passenden schwermüthigen Gedanken gefun-
den hatte, umflatterten sie schon die bun-
testen TraumbUder. Es war aber ein gräss-
licher Spuk! Sie träumte, ihr Mann habe ihr
aus der Stadt als Abschiedsgeschenk ein aller-
— 173 —
liebstes kleines Hündchen gebracht. Sie nahm
es auf den Schoss und herzte es, aber wie
sie es streichelte, wurde es zusehends grösser
und wuchs immer mehr und endlich wurde
es ein riesiges Ungethüm, das den Rachen
fürchterlich aufsperrte und Feuer schnob.
Und wie ihr vor Entsetzen die. .Stimme ver-
sagte, dass sie nicht aufschreien konnte, tmd
der Schrecken ihre Glieder gelähmt hatte,
stemmte ihr Mann laut lachend die Fäuste in
die Hüften und sang, fürchterliche Grimassen
schneidend, die Worte des Siegfried Richard
Wagner's, da er den in einen Drachen ver-
wandelten Riesen Fafner sieht :
Eine zierliche Fresse
zeigst du mir da:
lachende Zähne
im Leckermaul!
Und dann träumte ihr wieder, sie sei,
von einer bösen Ahnung getrieben, ihrem
Manne heimlich nachgereist, sie komme in
der Dunkelheit in dem Schlosse* an imd irre
in den finstem, öden Gängen desselben um-
her. Mit einem Male blinkte ihr aus der
Spalte einer Thüre Licht entgegen, und wie
— 174 —
sie sich auf den Fusspitzen angstvoll neu-
gierig näherte, da erschallte aus dem, Gelasse
heraus der brünstige Wechselgesäng aus der
„Walküre" zwischen Siegmund iind Sieglinde.
Sie öffiiete behutsam die Thüre und sah ihren
Mann , der eine weibliche Gestalt umarmt
Melt, und wie diese den Kopf nach ihr um-
wandte, erkannte sie in derselben Frau Blum.
Sie schrie laut auf, und als ihr Mann ent-
deckte, dass sie ihn belauscht habe, zog er
wüthend einen Revolver aus der Tasche,
richtete ihn auf sie, ein furchtbarer Knall er-
schütterte die Luft und — da erwachte Leonie.
Sie erhob sich vom Sofa und hörte die
letzten Schläge eines krachenden Donner-
wirbels. Geängstigt schritt sie zur Thüre.
Draus sen war es finster und von den Kies-
wegen hörte man, wie der Sand unter dem
niederfallenden Regen knisterte. Vom Himmel
wälzten sich grosse schwarze Wolkenballen
nieder, und manchmal platzte einer derselben
und aus dem Risse drang dann ein grell
leuchtender Schein hervor. Wenn der Donner
schwieg, vernahm man aus den rauschenden
Zweigen das furchtsame Zirpen eines Vogels.
- 175 -
Da entzündete sich plötzlich das Firmament
unter dem Aufflammen eines dahin schiessen-
den Blitzstrahls. Leonie schlug zitternd die
Augen nieder, und wie sie wieder aufschaute,
da war es ihr, als hätte sie in dem offen
stehenden Gartenpförtchen der Frau Blum
die Gestalt eines Mannes gesehen — Schwap-
pers. Sie zog sich von der Schwelle zurück
und zündete rasch die Kerze des Garten-
leuchters an, der auf dem Tische stand.
Dann eilte sie, den schweren Leuchter mit
beiden Händen erfassend, wieder zur Thüre,
um den Gärtner zu rufen. In demselben Augen-
blicke jedoch sah sie Schwappel schnellen
Schrittes gegen den Pavillon herankommen,
und ehe sie noch ihre Geistesgegenwart wieder
erlangt l^atte, war derselbe düster grüssend
herangetreten.
„Sie hier?" hauchte sie, denn das plötz-
liche Erscheinen des dämonischen Schwappel
nach diesen beängstigenden Träumen und in
dieser unheimlichen Szenerie erschreckte sie.
„Ich war", fuhr sie fort, „auf diesen Be-
such in der Dunkelheit, hier im Garten nicht
— 176 —
vorbereitet. Ich bin ganz allein, ich will den
Gärtner rufen."
Schwappel küsste ihre beiden wehrlosen
Hände, die den Leuchter hielten, mehrere
Male, dann nahm er ihr diesen ab und indem
er ihn auf den Tisch stellte, rief er mit
Bitterkeit:
„Sie sind ganz allein, Leonie? Und Sie
sagen dies in einem Tone, als wenn Sie dieses
Alleinsein bedauerten. Und doch, wie lange
habe ich mich nach einem solchen Augen-
blicke gesehnt! Oder wollen Sie Ihre Grau-
samkeit gegen mich fortsetzen, Leonie? Ich
habe gehofil, dass die Kälte, mit der Sie
mich neulich zurückgewiesen haben, nur in
der Besorgniss, wir könnten belauscht wer-
den, ihren Grund hatte. Aber hier sind wir
sicher, es ist Nacht draussen und Donner
und Blitz stehen Schildwache bei unserer
Liebe. Wir sind, Gott sei Dank, allein, theure,
angebetete Leonie, und Sie können Alles wie-
der gut machen, was Sie an mir und meiner
Liebe verbrochen haben. Ich muss dem Zu-
falle danken, was Ihre Härte mir verweigert
hat. Ich hatte gerade die Absicht, Frau Blum
— 177 —
zu besuchen, als Sie mir, Leonie, wie ein
überirdisches Wesen in den Flammen eines
Blitzes erschienen. O, geliebte Leonie, es
war ein Wink des Himmels, wir wollen ihn
beachten."
Leonie stand noch immer, sie hatte die
Blicke gesenkt, und die Linke, die sie auf
den Tisch stützte, zitterte:
„Nennen Sie mich nicht grausam und
hart; ich durfte nicht anders handeln, ich
darf nicht. Ich bin unglücklich, ich werde
aber nicht meine Pflicht verletzen."
„Schreibt Ihnen die Pflicht, Grausame,
vor, die Hand zurückzuziehen, die einen Er-
trinkenden retten könnte, zu schweigen, wenn
der Hauch eines Wortes einen Fiebernden zu
heilen vermöchte, den elend Unglücklichen,
der Sie liebt, zu tödten, damit die Etikette
gegen einen Ehemann, dem Sie gleichgiltig
sind, wie ihm nichts gilt, was schön und edel
ist, nicht verletzt werde. Verleugnen Sie nicht,
Leonie, was ich in Ihren schönen Augen ja
längst gelesen habe, dass auch Sie mich
lieben."
Leonie verbarg das Gesicht in beide
12
— rjS —
Hände, setzte sich langsam aufs Sofa und
schwieg.
„Diese Stunde", rief Schwappel, indem
er ganz nahe herantrat tmd Leoniens Hand
ergriff, „sie ist entscheidend für mein Glück,
für meine Kunst, für mein Leben, ich darf
sie nicht vorübergehen lassen!" und dabei
kniete er nieder und legte sein Gesicht in
ihren Schoss.
„Um des Himmels Willen, stehen Sie auf, —
wenn Jemand einträte, — wenn mem Mann
plötzlich zurückkehrte, — ich wäre verloren!"
Und Leonie versuchte es, sich zu erheben.
Schwappel aber hatte ihre Arme gefasst
und hielt sie nieder.
„Mag kommen, wer wolle, ich lasse Dich
nicht mehr! Du musst mein sein, oder ich
will diesem unerträglichen Leben ein Ende
machen ! "
Und indem er sie losliess, zog er plötz-
lich den Dolch der Gräfin Brzezienicki hervor
und zückte ihn gegen seine Brust.
Leonie stiess einen leisen Schrei aus und
fiel ihm in den Arm.
Schwappel sprang auf, sein Bhit kochte.
— 179 —
seine Wangen wären geröthet, sein Auge
flammte unheimlich, seine Lippen bebten, er
hidt den Dolch in seiner krampfhaft geball-
ten Faust, so dass sich Leoniens die zwie-
fache Angst bemächtigte, er möchte sich er-
dolchen, oder sich an ihr vergreifen. Sie
flüchtete sich hinter den Tisch, den sie an
sich zog.
„Tödten Sie sich nicht, ich will ja Alles
thun, was mein Gewissen mir erlaubt! Lassen
Sie mir nur Zeit, meine Gefühle zu sammeln!
Ich weiss nicht, was ich beginnen soll! Scho-
nen Sie doch meine Hilflosigkeit!"
„Nein, nein, ich will Dich besitzen, oder
an Deiner Brust sterben!"
Und dabei stiess Schwappel den Tisch
weit weg, so dass der Leuchter umfiel und
das Licht erlosch, und schlang seinen Arm
um Leoniens Leib. Er zog sie mit Gewalt an
sich. Sie fühlte seine heisse Wange an ihrer
Brust, dann stöhnte er auf und drückte einen
Kuss auf ihren Hals. Während Leonie sich
loszureissen versuchte, war es ihr, als glitten
seine Thränen an ihrem Halse nieder. Er
suchte sie gegen das Sofa zu drängen. Leonie
12*
— i8o —
fühlte, wie ihre Kräfte sie verliessen und
schrie, halb erstickt von seinen Küssen, um
Hilfe! Aber plötzlich Hess Schwappel sie los
und taumelte zurück. Kaum fühlte sich Leonie
frei", so stürzte sie zur Thüre und lief, ohne
sich umzusehen, durch die Gartenpforte, bis
sie vor dem Landhause der Frau Blum an-
gelangt war. Sie schöpfte Athem, dann eilte
sie die Treppe hina» und riss die Thüre so
gewaltsam auf, dass das Stubenmädchen er-
schrocken mit einem Lichte herbeieilte. Diese
prallte, als sie Frau von Malzau erblickt hatte,
entsetzt zurück und kreischte:
„Hilfe, Hilfe! die gnädige Frau schwimmt
in Blut! Sie ist verwundet! Sie stirbt! Man
hat sie ermordet!"
Leonie klammerte sich bei diesen
Schreckensrufen fast ohnmächtig an die Thüre
und brachte nur mühsam die Worte lieryor:
„Einen Spiegel!"
Das Stubenmädchen brachte einen Stuhl
und reichte ihr einen Spiegel. Leonie warf
nur einen Blick in diesen, dann sank sie
leichenblass in den Stuhl zurück^ schloss die
Augen und ächzte:
n
— i8i —
Ich sterbe!"
Auf ihrem Gesichte war ein Blutfleck, von
ihrem Halse lief ein blutiger Streifen herunter
zur Brust und auch auf ihrem Kleide sah man
die Spuren frischen Blutes. Frau Blum kam
jetzt mit der Majorswittwe herbei, die ihr
einen Besuch abgestattet hatte, um ihr ihre
Verlobung mit Goldschein mitzutheilen. Als
sie den schrecklichen Zustand sah, in dem
sich Leonie befand, erklärte sie, den Tod
ihrer Freundin nicht überleben zu können,
traf auch die nothwendigen Vorbereitungen
für eine Ohnmacht und drückte dem sie auf-
fangenden Stubenmädchen vor ihrem Ende
noch leise den Wunsch aus, diese möge nach
der aufgetragenen Chokolade sehen, damit
sie nicht kalt werde. Die Majorswittwe leistete
indessen der Verwundeten Beistand, sie öffnete
deren Kleid und nachdem sie mit einem
Schwämme das Blut entfernt hatte und sich
nirgends eine Wunde zeigte, küsste sie Leonie
mehrere Male und rief:
„Erholen Sie sich, Herzchen, es ist weder
eine Hieb- noch eine Stichwunde, ja nicht
— l82 —
das geringste Ritzchen an Ihrem Leibe zu
entdecken, verlassen Sie sich auf mich."
Leonie erholte sich bei diesen Worten
von ihrem Schreck und besah sich noch ein-
mal ängstlich, dann aber fasste sie plötzlich
ihren Kopf mit beiden Händen und jammerte:
„Er hat sich an meiner Brust ermordet,
der Unglückliche, imd ich bin Schuld an sei-
nem Todel"
Bei diesen Worten kehrten auch die Kräfte
der Frau Blum so weit zurück, dass sie zu
fragen vermochte:
„Welcher Unglückliche?"
„Schwappen "
„Schwappel todt!" schrie Frau Blum, in-
dem sie die berühmte Stellung der Mutter der
Niobiden nachzuahmen versuchte, „welcher
unersetzliche Verlust für die Kunst!"
„Dieser Richard Wagner", seufzte die Ma-
jorswittwe, „wird noch Alle verrückt machen!
Mein armer Goldschein, der Tod Schwappel's
wird ihn sehr angreifen! Und gerade jetzt
muss dies Unglück geschehen, wo er so sehr
der Schonung bedarf. Ich wollte Sie nämlich,
liebe Leonie, sobald das Gewitter vorüber-
- i83 ~
gegangen wäre, besuchen, um Ihnen mitzu-
theilen, dass ich Goldschein heirate, und dass
unsere Hochzeit in vier Wochen stattfindet."
„Und an Ihrer Brust*', fragte Frau Blum,
j^t er sein edles Leben ausgehaucht?" und
dabei warf sie einen zufriedenen Blick auf
ihren eigenen Busen, den erhabenen, nur der
Kunst geweihten Altar, der, Gott sei Dank,
bisher noch nicht durch blutige Opfer be-
fleckt worden war. „Ich habe zwar immer
gesehen, dass der arme Schwappel in Sie
verliebt war, aber ich habe dabei immer nur
an eine gewöhnliche Künstlerliebe gedacht,
cEe in der Regel harmonisch abschliesst, indem
man sich die Briefe gegenseitig zurückgiebt und
darauf ein dauerndes Freimdschaftsverhältniss
angeht Ich bin nur neugierig, was Brauser
in seinem Nekrolog über ihn schreiben wird?"
„Da er sich aber", sagte die Majorswittwe,
„an Ihrer Brust den Tod g^eben hat, waren
Sie doch nicht Schuld an seinem Tode?"
Leonie erzählte nun in Kürze, was vor-
gefallen war, mit der kleinen Aenderung, dass
sie die genaue Schilderung einschaltete, wie
— i84 —
sich Schwappel dreimal den Dolch in's Herz
gebohrt habe.
„Grässlich, entsetzHch!" rief die Majorin,
nachdem die Erzählmig beendet war. „Aber
wir plaudern hier imd lassen ihn verbluten,
vielleicht ist er noch zu retten. Gehen wirl"
Obwohl Leonie schmerzlich verneinend
den Kopf schüttelte, ergriff die Majorin eine
Lampe und ging voran, während Leonie und
Frau Blum in einiger Entfernung furchtsam
folgten. Schon aus der Feme drang aus dem
Pavillon Licht zu ihnen und als sie näher
kamen, liefen eben der Gärtner mit einem
grossen Waschbecken und seine Frau mit
Leinentüchem dem Pavillon entgegen.
„Gott sei mir gnädig'^ wimmerte Leonie,
„ich werde den fürchterlichen Anblick nicht
ertragen können, ich bin schon jetzt einer
Ohnmacht nahe."
Frau Blum zog ein Fläschchen mit Riech-
salz aus dem Busen hervor und hielt es bald
vor ihre, bald vor Leoniens Nase. Die Ma-
jorswittwe flüsterte, sich zu den Beiden um-
wendend :
„Er lebt vielleicht noch, denn da der
— i85 —
Gärtner ihm Hilfe bringt, hat er wahrschein-
lich darnach gerufen."
Nur die Majorswittwe hatte den Muth, in
den Pavillon einzutreten, während die beiden
anderen Frauen angstvoll einige Schritte vor
dem Eingange stehen blieben. Kaum war
die Majorin im Pavillon, als sie laut „Jesus,
Maria!" schrie. Leonie hielt sich bebend an
dem Arm der Frau Blum fest. Gleich darauf
aber hörte man das immer lauter werdende
Gelächter der Wittwe. Leonie erschrak über
dieses fast noch mehr als über den früheren
Weheruf, Frau Blum jedoch rief händeringend:
„O Jammer über Jammer, die arme Ma-
jorswittwe ist vor Entsetzen verrückt ge-
worden ! "
Die Wittwe aber trat jetzt, sich die Seiten
vor Lachen haltend, heraus:
„Muth, meine Damen, vielleicht gelingt
es noch, den dämonischen Schwappel durch
Anwendung von kalten Umschlägen zu retten.
Sie haben jedoch, gute Leonie! wahrscheinlich
in Folge der schlechten Beleuchtung nicht
ganz richtig gesehen, denn der Bejammems-
werthe scheint sich die drei Dolchstösse nicht.
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wie Sie erzählten, in das Herz, sondern in
die Nase gegeben zu haben, da er aus der-
selben blutet, als wenn sk ihm mit einem
bosnischen Handschar att^eschUtzt worden
wäre, hahaha! Als ich eintrat imd sein blu-
tiges Gesicht sah, erschrak ich, wie ich jedoch
entdeckte, dass seine Nase das! grosse Blut-
bad ai^erichtet hatte, inusste ich um so herz-
licher lachen. Er sah zu komisch aus, der
dämonische Schwappd, hahaha! Hoffentlich
wird er in Folge (kr Bemühungen des Gärtners
und seiner Frau der Gesellschaft bald wieder-
gegeben werden, der Selbstmörder aus Liebe,
hahaha! Sie werden wohl nicht böse sein,
liebe Leonie, dass er Ihnen mit seiner Nase
solchen Schrecken eingejagt hat, aber warum
mussten Sie ihn auch durch Ihre Grausam-
keit zum Aeussersten treiben?"
Frau Blum und die Majofin lachten um
die Wette, so dass Leonie ausser sich vor
Wnth und Scham war und nur mühsam ihre
Thränen unterdrückte.
„S^en Sie Herrn Schwappel", rief Leonie,
indem sie so nahe an die Schwelle des Pa-
villons trat, dass Schwappel sie hören musste,
— i87 —
„dass ich hoffe, er werde mein Haus so
schnell wie möglich verlassen mid nie wieder
betreten. Ich werde das Meimge thun, um
auch jede andere Begegnung mit ihm zu ver-
meiden« Dem Todten'S ^gte sie hinzu, da
die Majorin und Frau Blum sie milder zu
stimmen suchten, „hätte ich vergeben, der
Lebende ist mir verächtlich."
Sie entfernte sich hieratif , nachdem die
beiden Frauen sie vergebens zurückzuhalten
bestrebt waren, tmd schloss sich in üir Smmer
ein. Dort Hess sie ihren Thränen fieien Lauf,
denn ihre Lage erschien ihr trostlos. Sie
hätte ein grosses Unglück leichter zu ertragen
vermocht als die Lächerlichkeit. Sie, die be-
wunderte reine und schöne Frau, der selbst
der giftigste Neid bisher nichts anzuhaben
vermochte, war durch einen Hanswurst zum
Gegenstand des Gespöttes geworden! Sie sah,
wie man sich bei ihrem Erscheinen in die
Ohren zischelte und hämisch lachte und sie
hörte die unerbittlichen Epigramme vortiber-
schwirren, die alle nach ihrer Ehre und ihrem
Rufe zielten. Aber sie gestand sich ein, dass
sie schuldig war und ihre Thränen flössen
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„Du bist so erregt, Du hast geweint, was
ist Dir geschehen, mein liebes, gutes Kind?"
fragte er.
„Ich werde Dir Alles morgen während
unserer Reise nach dem Gute erzählen."
„Was höre ich, Du willst mit mir kommen?
Und*', fügte er nach einer Pause, indem er
sie zweifelnd anblickte, hinzu, „das Leben auf
dem Gute wird Dir nicht zu prosaisch sein?"
„Ach, mein lieber Mann", erwiederte
Leonie, indem sie die Hände faltete, „wie
sehn' ich mich nach dieser Prosa!"
DATEDUE 1
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